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Die Besetzung als Theaterstoff

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Von: Christian Thomas

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Polizei im Einsatz im von Kunst- und Politikaktivisten besetzten Theater am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin.
Polizei im Einsatz im von Kunst- und Politikaktivisten besetzten Theater am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin. © dpa

Schon mit den "Räubern" begann so etwas wie eine Hausbesetzung. Nun treten die Räuber auf der Volksbühne in Berlin auf.

Schon mit den „Räubern“ begann so etwas wie eine Hausbesetzung – mit welchem Stück auch sonst? Mit dem Schiller-Stück halt, im September 1990, unvergessen. Ach ja, es seufzt der Veteran, in Erinnerung daran, wie Henry Hübchen an der Rampe stand, während auf der Bühne gezackte Flämmlein züngelten, lodernd wie buntes Kindergartenpapier. War’s ein theatralisch dekorierter Aufruhr? Hübchen nahm den Schiller zum Anlass einer Publikumsbeschimpfung, denn es handelte sich um den Schiller Frank Castorfs, so dass Hübchens Franz Moor, sein böser Räuber („diese Kanaille“), das Publikum provozierte, und, ach, verschnarchte Opportunisten nannte. Sowie Kadett-Fahrer. 

Kapitalismuskritisches Theater

Opportunisten? Na ja. Kadett-Fahrer? Da war was los! Heute sind 27 Jahre vergangen, in denen die Volksbühne zwischenzeitlich zum gewiss kapitalismuskritischsten Theater der Republik aufstieg – jetzt, obwohl der alte Feudalherr Castorf das Haus nicht mehr regiert, suchten Räuber die Volksbühne wieder heim. Wie beseelt spielten sie Schminken, Kapitalismuskritik, Kinderladen und Hausbesetzung. Der eine oder andere Theaterintendant zeigte für den achttägigen Hausfriedensbruch kein tieferes Intendanten-Rechtsverständnis, aber ein ästhetisches Verständnis, für einen irgendwie performativen Auftritt. Auch irgendwie stand die Parole von der Freien Republik Volksbühne im Raum. Was für Schillers Gesetzlose die böhmischen Wälder, waren für die Hausbesetzer die Gesetze, also böhmische Dörfer. (Böhmische Dörfer? Ach so!)

Gestern die Räumung durch die Polizei. Ja, seufzt jetzt wohl mancher, vielleicht auch rund um die Volksbühne – oder erinnert sich an den Auftritt der Räuber in der berüchtigten Castorf-Inszenierung, die eine nicht nur ungemein schrille Sache war, sondern auch eine unheimlich verkrampfte, elf Tage vor dem Ende der DDR. Er brauche, rief der gute Räuber Karl – nein, nicht einen Kadett, sondern noch ein Bier, und richtete seine revolutionäre Parole an den Moritz Spiegelberg. Natürlich war das der Gipfel des Hohns – auf eine Revolution, damals, 27 Jahre her. Die Räuber waren ein unglaublich kaputter, anmaßender Haufen. Dreiste Spießer im Räuberlook, aber auch zipfelbemützte Revoluzzer. 

Unvergessen, wie Karl, dieser Extremidealist, sich noch ein Bier besorgte, aus der Kulisse, von der Requisite. Deutschland, materialistisches Gaudiland. Soeben  wiederholte sich in dem Haus am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz die Geschichte, um mit Marx zu sprechen, als Farce. Unbedingt Theaterstoff. Bühnen werden sich drum reißen. 

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