Applaus

Soll man, soll man nicht? In der Oper Zwischenapplaus spendieren? Ein weites Feld.
Leserin D. kann nicht nachvollziehen, dass die FR-Kritikerin (der Name ist der Redaktion bekannt) am häufigen Zwischenapplaus bei einem vermutlich wirklich unvergesslichen Opernabend während der Wiesbadener Maifestspiele herumgemeckert hat. Ein weites Feld. Auch ist es natürlich nicht okay, am Publikum herumzumeckern, ohne Publikum wäre alles, was uns wichtig ist und was am Ende des Tages, nein, des Monats auch dazu beiträgt, die Miete zahlen zu können, nicht mehr da. Insofern darf das Publikum eh alles außer zu tuscheln, zu schnaufen, zu schniefen, zu husten, zu zappeln, zu summen, zu simsen, zu fotografieren und herumzuknutschen. Letzteres bloß wegen der Sichtachsen.
N ur wer aus strenger Wagnerschule hervorgegangen ist und trotz liberaler Erziehung an dieser einen Stelle im vorvergangenen Jahrhundert steckengeblieben ist, wird trotzdem staunen, dass es Menschen gibt, für die Zwischenapplaus nicht nur eine Pest und Gelegenheit zum Naseputzen ist, sondern ein Höhepunkt des Abends. Ein Lebenszeichen, ein Päuschen vor der Pause als allerhöchstem Höhepunkt. In Franz Werfels Roman „Verdi“ lesen wir, was Verdi über Wagner („Arrigo, oder Riccardo, oder Federigo, oder sonstwie“) erzählt wird. „Er will im Theater die Pausen abschaffen. … Man soll hintereinander drei oder vier oder fünf Akte hören, stillesitzen, nicht aufstehen, nicht reden, nicht einmal schnäuzen darf man sich ... Was ist das für Tollheit frage ich? - Der Mensch hat einen Akt gehört, seinen Genuss gehabt, jetzt will er sich ergehen, ein wenig rauchen, das Publikum betrachten, ein Gespräch beginnen, die Sänger beurteilen. - Aber nein, das wird verboten ... .“ I wo, aber schön wär’s.
Während unsereiner die Nase da weit oben hat, also ganz weit oben, fällt das Auge dennoch auf ein Gespräch, das vor Jahren der Komponist Wolfgang Rihm und der Musikwissenschaftler Reinhold Brinkmann führten (ein legendäres Gespräch, hier in der „Neuen Musikzeitung“ nachgelesen). Brinkmann erinnert an die Uraufführung von Brahms’ 2. Sinfonie, bei der nicht nur jeder Satz (Jesses) beklatscht, sondern der dritte daraufhin auch wiederholt wurde. Brahms habe sich darüber gefreut. „In der Oper“, so nun Brinkmann, „hat der Zwischenapplaus ja überlebt, Gott sei Dank ... bei Verdi, bei Mozart ist das ganz selbstverständlich und das ist auch eine Art von Befreiung des Hörens. Und vielleicht sollten wir zu solchen Unbefangenheiten zurückkehren.“ Da denken wir ja gar nicht dran, sind aber trotzdem in Verlegenheit. Rihm und Brinkmann geht es um eine Heiligkeit, die sie der Musik und ihrer öffentlichen Darbietung – und leider zu Recht – nicht so ohne weiteres zubilligen wollen.