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Adler

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Von: Stephan Hebel

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Manche tippte ihre ersten journalistischen Texten auf „Monica“, ohne zu ahnen, wie die Schreibmaschine auf ihren Namen kam.
Manche tippte ihre ersten journalistischen Texte auf „Monica“, ohne zu ahnen, wie die Schreibmaschine zu ihrem Namen kam. © Rüdiger Wölk/Imago

Gabriele oder Monica, egal. Aber wo und von wem Gabriele gebaut wurde, daran erinnerte man sich erst 77 Jahre später.

Sie müssen schon verzeihen, dass es hier jetzt wieder mit Monica losgeht, aber bitte machen Sie sich keine allzu großen Sorgen: Heute öffnet Monica nur die Tür zu dem Ort, an dem sie ihren Namen bekam beziehungsweise doch nicht.

Als kürzlich hier schon mal von Monica die Rede war, meldete sich eine sehr freundliche Person und wusste zu berichten, durch wen die gute alte Schreibmaschine zu ihrem Namen kam: Nicht ein Helmut oder Hans, kein Manfred oder Horst habe sie „Monica“ genannt, sondern ein türkischer Gastarbeiter (so nannte man das halt damals), dessen Name allerdings der freundlichen Person nicht mehr erinnerlich war.

Das Ganze, erzählte die freundliche Person, habe in den Frankfurter Adlerwerken stattgefunden, was allerdings den Verdacht nahe legt, dass es sich nicht um Monica handelte, sondern um Gabriele, denn Monica war von Olympia und Gabriele von Triumph-Adler. Aber das ist nicht so wichtig, denn mit Gabriele ist die Geschichte vom türkischen Arbeiter und dem sehr deutschen Mädchennamen für „sein“ Produkt genauso schön, wie sie es mit Monica wäre.

Nebenbei, beziehungsweise überhaupt, scheint hinter der Geschichte vom Türken und der Gabriele die sehr deutsche Geschichte der Adlerwerke auf: Wo die ins Wirtschaftswunderland transportierten Gastarbeiter Schreibmaschinen bauten, hatten wenige Jahrzehnte zuvor Zwangsarbeiter unter furchtbaren Bedingungen Fahrzeuge für die Armee der Nazis zusammenschrauben müssen, später die Häftlinge aus einem eigens eingerichteten KZ-Außenlager. Die Mehrheit überlebte nicht.

Der türkische Schreibmaschinen-Täufer hat davon vielleicht gewusst, aber vielleicht auch nicht, denn im Land der Gabrieles und Monicas erinnerte man sich nicht so wahnsinnig gern, es „musste ja weitergehen“, wie das damals hieß, und das Vergessen wurde wohl als zwingende Voraussetzung dafür empfunden. Immerhin darf der Bundesrepublik attestiert werden, dass sie sich die importierte Arbeitskraft nicht mehr mit Zwang zu sichern pflegte, was auf jeden Fall einen zivilisatorischen Fortschritt darstellt, trotz der unkomfortablen Lebensbedingungen für die türkischen, italienischen und anderen „Gäste“ mit Lizenz zur Mehrung des deutschen Wohlstands.

Die Gabriele übrigens war längst Geschichte, genau wie die Monica, als Frankfurt sich des Konzentrationslagers „Katzbach“ offiziell erinnerte. Sie haben es wahrscheinlich gelesen: Im März 2022 wurde am Ort des Außenlagers eine Gedenkstätte eröffnet. Schlappe 77 Jahre waren vergangen, seit die bis dahin Überlebenden auf einen Todesmarsch Richtung Buchenwald gezwungen wurden.

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