Abgefahren

Wer nicht schlafen kann, sollte Busfahren. Oder auf Schmatzgeräusche lauschen. Manchen scheint das zu helfen.
Es gibt Menschen, die sind, sobald es ums Schlafen geht, hellwach. Allein die Angst davor, kein Auge zuzukriegen, sorgt für Adrenalinschübe, die wiederum dazu führen, dass man kein Auge zukriegt. Bloß wenn man nicht aufpasst – etwa beim Fernsehen –, kommt der Schlaf ungebremst, hält aber leider nicht lange an. Man steht auf, macht den Fernseher aus, und – wumms – ist sie wieder da, die Angst vor der schlaflosen Nacht. Blöde Sache.
Früher, als Kind, war das Problem relativ einfach zu lösen. Man brauchte bloß von den Eltern ins Auto verfrachtet und durch die Dunkelheit gefahren zu werden, schon kam der Schlaf von ganz alleine. An dieses Phänomen knüpft Kenneth Kong an. Ein Freund hatte dem Hongkonger Reiseveranstalter erzählt, er sei so gestresst, dass er gar nicht mehr schlafen könne – mit einer Ausnahme: im Bus auf dem Weg nach Hause. Das brachte Kong auf die Idee, fünfstündige Bustouren zu veranstalten, deren einziger Sinn darin besteht, die Insassen zum Schlafen zu bringen.
Die erste „Sleeping Bus Tour“ Ende Oktober war ausverkauft. Einige Passagiere brachten Decken, Nackenhörnchen und Hausschuhe mit. Ohrstöpsel und Schlafmasken gab es gratis. Es gibt Fotos davon; sie zeigen Menschen, die schlaff in lila gemusterten Sitzreihen hängen. Herrlich. Anders als in Europa ist es in einigen asiatischen Ländern üblich, in öffentlichen Verkehrsmitteln zu schlafen. Das liegt daran, dass die Menschen sonst zu wenig Zeit dazu haben. Sie seien darauf konditioniert, erläutert ein Arzt im Internet, ohne zu erklären, wie es die Busschläfer schaffen, rechtzeitig wieder aufzuwachen. Vielleicht ist es wie bei der Hypnose: Sobald eine monotone Stimme ein bestimmtes Wort ausspricht – in diesem Fall die benötigte Haltestelle –, wachen sie auf.
Der Gedanke, stundenlang sinnlos durch die Gegend gefahren zu werden, hat etwas Verlockendes. Und kommen Sie jetzt nicht mit ökologischen Bedenken – es ist nur ein Gedankenspiel. Wenn also die Fahrt selbst und nicht das Ankommen das Ziel ist, dann ist man ja bereits da, während man noch unterwegs ist. Klingt das nicht abgefahren?
Apropos abgefahren. Haben Sie schon mal von ASMR gehört? Dabei handelt es sich um eine Methode, bei der banale Geräusche zur Entspannung eingesetzt werden. Man setzt sich Kopfhörer auf und hört dann zum Beispiel Schmatz- oder Bürstengeräusche. Auch Flüster-, Klopf- oder Wassergeräusche werden eingesetzt. Bereits nach einigen Minuten soll die Entspannung einsetzen. Wenn man Pech hat, bewirkt das Geräusch allerdings das Gegenteil. Plätschersounds animieren dann womöglich zum Toilettengang, Schmatzen macht aggressiv.
Zum Glück gibt es im Netz noch die guten alten Straßenbahn- und Zugvideos. Allein das rhythmische Rattergeräusch ... Zzzzzzzzz.