Theaterwurm

Von Würmern, die weit springen, Glieder abwerfen - und Forschenden, die das theatralisch nennen.
Während das Wetter macht, was es will, während wir im Radio das Wort „Bodenfrost“ hören (etwas unerwartet, wie wir zugeben, doch nein, liebe Klimaleugnerinnen und -leugner, macht euch keine Hoffnung: Bodenfrost in den höheren Lagen Deutschlands Anfang Juni ist kein Beweis dafür, dass die Erderwärmung bloß erfunden ist), während wir aber nun doch endlich unseren Sommerurlaub planen – vermissen wir das diesjährige Sommerlochtier.
In einer guten, einer friedlicheren Welt wären gewiss schon ein Kaiman, Wels oder eine Schildkröte in einem Dorfteich aktenkundig geworden. Oder eine vor dem Schlachter geflüchtete Kuh, die sich im Wald versteckt, und der wir die Daumen drücken, während wir dem Koch in der Gastwirtschaft unseres Vertrauens ausrichten lassen, wie verflixt lecker seine Rindsrouladen wieder waren.
Noch sommerlochwürdiger ist eine Wildsau, die einem Nackten einen Laptop klaut. Und sich dabei fotografieren lässt (aber ohnehin schafft es bloß Thomas Pynchon, jeglichem Abgebildetwerden zu entgehen). Auch ein Problembär ginge – erinnern Sie sich an Bruno? –, allerdings müssten sich alle, die darüber berichten, zusammenreißen, denn Witze über ein bestimmtes Land und seinen Diktator verbieten sich derzeit komplett. Und das meinen wir ernst.
Zurück zum Sommerlochtier: Denn statt Kaiman und Kuh, Wildschwein, Riesenfisch, was nähert sich mit großen Sprüngen, mutmaßlich, um 2022 ins Vermischte zu kommen? Amynthas agrestis. Ein Wurm aus der Gattung der Wenigborster, in Asien heimisch, aber bereits gesichtet in den USA, der bis zu 20 Zentimeter lang werden kann, aber bis zu 30 Zentimeter hoch springt. Offenbar verbrennt er beim Springen so viele Kalorien, dass er auch äußerst viel frisst – die gute Nachricht in diesem Zusammenhang ist, dass seine Gefräßigkeit sich nicht auf den Menschen erstreckt. Aber denken Sie an das Killer-Kaninchen in Monty Pythons „Ritter der Kokosnuss“, dem hätte das ja auch keiner zugetraut.
Die über Amynthas agrestis Forschenden benutzen unter anderem das Wort „theatralisch“, um sein Verhalten zu beschreiben. Das möchten wir hier im Namen aller Theaterschaffenden zurückweisen: Uns ist kein 1,80 großer Schauspieler bekannt, der auf der Bühne fast drei Meter hoch springt, ob als Hamlet oder Romeo (als dieser hätte er sogar einen guten Grund, wir sagen nur Balkon). Und schon gar nicht werfen Schauspielerinnen, mögen sie noch so „theatrical“ sein, Gliedmaßen ab. Auch wenn das nur an den für einen Menschen doch eher unangenehmen Folgen liegen mag.