Zum Tod von Christa Ludwig: Mezzo für die Ewigkeit

Zum Tod der großen Sängerin Christa Ludwig, die 93 Jahre alt wurde.
Christa Ludwig sang sich vom Octavian zur Feldmarschallin, aber nicht von der Brangäne zur Isolde. Es gibt eine Aufnahme vom „Liebestod“, sozusagen eine Single-Auskoppelung, Ludwigs Stimme weich, dunkel grundiert und geradezu irritierend entspannt, die Artikulation sagenhaft natürlich (eine Frau sinniert und beobachtet sich selbst, wie ihr Unfassbares widerfährt). Denn selbstverständlich hätte sie es gekonnt. In einem FAZ-Interview zum 90. Geburtstag wurde sie wieder danach gefragt. Sie habe die Isolde gelernt, sagte Ludwig, und ihrer Mutter und ihrer Mentorin Zinka Milanov auch vollständig vorgesungen. Zweitere habe dann abgeraten, sie sei zu alt, sie müsse dafür ihre Stimme „pushen“, außerdem: sie sei doch eine gute Brangäne.
Die auf ihre Stimme hörte
Karajan bot ihr eine Isolde an, Böhm bot sie ihr an und behauptete, Karajan sei ein Verbrecher, aber mit ihm werde sie es schaffen. Bernstein fragte einmal Birgit Nilsson, ob sie Ludwig als Feldmarschallin gehört habe. Ja, so Nilsson, aber von Böhm dirigiert. Bernstein: „Ach ja, der Böhm, der hat alles verdorben, was ich Christa beigebracht habe.“ Die Jahrzehnte der Sängerin Christa Ludwigs fielen noch ganz und gar in die Zeit der großen Maestri, die den Eindruck hatten, die Divenmacher zu sein. Wie auch immer. Christa Ludwig blieb bei ihrem Nein, wie sie auch Brünnhilden ablehnte und stattdessen eine gefeierte Fricka und Waltraute blieb.
Den Sprung ins Hochdramatische nicht genommen zu haben, das war die schwärende (aber nicht amfortasmäßig schwärende) Wunde im Berufsleben der großen Mezzosopranistin, die auf ihre Beraterinnen, aber vor allem auf ihre Stimme hörte und womöglich auch dadurch ihre Karriere auf imposante fünfzig Bühnenjahre streckte. Das Talent des 1928 in eine Musikerfamilie geborenen Kindes – viel Auswahl habe sie berufsmäßig nicht gehabt, pflegte Ludwig zu sagen – hatte sich früh gezeigt. Dass sie mit acht die berüchtigte Arie der „Königin der Nacht“ gesungen haben soll, dokumentiert, wie koloratur-affin ihre Stimme war. Christa Ludwig lernte Instrumente, studierte Gesang aber ausschließlich bei ihrer Mutter, einer Altistin.
1946 debütierte sie in Frankfurt, als Prinz Orlofsky in der „Fledermaus“. Über Darmstadt und Hannover kam sie 1955 durch Böhm an die Wiener Staatsoper, ihre künftige Basis, von der aus vom selben Jahr an sie regelmäßig bei den Salzburger Festspielen auftrat, bei den Festspielen in Bayreuth, an der Deutschen Oper in Berlin, an der Pariser Oper, der Scala, in Covent Garden und an der New Yorker Met. Unter dem Dirigentenviergestirn Otto Klemperer, Böhm, Karajan, Bernstein bewegte sie sich in den klassischen Sphären des großen Opernrepertoires. Da sie nicht immer Nein sagte, wurde sie eine umjubelte Leonore, auch wenn sie nach „Fidelio“-Terminen – und dem neuerlichen Überwinden des angstvoll erwarteten hohen H – heiser war und zum Arzt gemusst habe.
Zugleich interessierte sie sich für Zeitgenössisches, etwa als Teilnehmerin der Donaueschinger Musiktage, und – ein Zeichen für den blendenden Zustand ihrer Stimme – für Liedgesang. Ihre hochgelobte „Winterreise“ 1980 ebnete Sängerinnen den Weg zu Liedzyklen, die bisher für reines Herrenterrain gehalten worden waren. Ihre Mitwirkung an Klemperers Einspielung von „Das Lied von der Erde“ (mit Fritz Wunderlich, 1967) ist noch in der unzulänglichsten Youtube-Abspielung ein Ereignis. Berühmt wurde Ludwigs Formulierung, Klemperer habe „nichts“ gemacht und sie könne also eigentlich auch nicht sagen, wie das zustande gekommen sei. Tatsächlich ist ein organischerer Ablauf gerade in der letzten Nummer, „Der Abschied“ mit dem ewig hinausgezögerten „ewig, ewig“, nicht denkbar.
1994 nahm sie als Klytämnestra in einer Wiener „Elektra“ ihren Bühnenabschied. Anders als manch eine andere brauchte sie dafür nur einen Anlauf. Seither privatisierte der zweimal verheiratete ewige Mezzo friedlich in Klosterneuburg bei Wien. Dort starb Christa Ludwig am 24. April im Alter von 93 Jahren.