Wolfgang Herrndorfs „Bilder deiner großen Liebe“: Die zärtliche Seite des Theaters

„Bilder deiner großen Liebe“ in Frankfurt.
Obwohl im Prinzip jeder Mensch darüber Bescheid weiß, zeigt sich der Tod in seiner Unzumutbarkeit immer besonders dann, wenn einer nicht da ist, der unbedingt da sein müsste. In diesem Fall: Wolfgang Herrndorf, wenn es um seine Bücher geht, und um die geht es doch ständig. Alte Leute lesen sie, junge Leute lesen sie, und bald werden die ersten zu „Tschick“ greifen, die auf die Welt kamen, als Wolfgang Herrndorf bereits tot war. Im kommenden Juni wäre er 58 geworden, im August vor zehn Jahren nahm er sich angesichts eines tödlichen Hirntumors das Leben.
Der letzte Roman, Teil eines bewunderungswürdigen Anschreibens gegen den Tod, wurde nicht mehr fertig, es wollte ihn auch kein anderer fertig schreiben und dies zu Recht. Das Fragment von „Bilder deiner großen Liebe“ war gut, wie es war. Zum Erfolg trug gewiss bei, dass das Mädchen Isa schon aus „Tschick“ bekannt war, der Eindruck, dass längst nicht alles über sie gesagt war, war da schon aufgekommen. Jetzt erlebt man sie wiederum in prekärer, aber darüber unbesorgter Lage, wie sie nach dem Ausreißen aus einer Anstalt zu Fuß durchs Land zieht. Das Fragmentarische, nämlich Sprunghafte entspricht Isa zu hundert Prozent.
Auf der Bühne (in einer Fassung von Robert Koall) ist das Fragment nun weiter fragmentiert, ein Hauch bloß der Geschichte, aber dafür ohne Gehetze. Der Augenblick zählt, was sonst. Einer der Typen, denen Isa begegnet, schildert zum Beispiel vom perfekten Banküberfall, und auch hier liegt die Perfektion in der Ruhe, nämlich in der Ruhe danach. Isa ist eine, der man Sachen erzählen kann. Sie wird weggehen, aber jetzt ist sie da.
„Bilder deiner großen Liebe“ ist als szenische Lesung angekündigt, die geht unter der Regie von Susanne Frieling aber relativ weit. Zwar stehen für Tanja Merlin Graf und Wolfgang Vogler Lesetischchen bereit, dahinter aber tut sich Devin Rebecca McDonoughs schräge Bühnenfläche auf, ein Spielfeld zum Lagern, Herumhuschen und Zuhören.
Er heißt ja auch Wolfgang
Graf ist gewissermaßen Isa, die aber auch aus dem Off mitredet, mit der Stimme von Luzie Josefina Spira, Jahrgang 2008. Dass Isa 14 ist, verliert man sonst tatsächlich leicht aus den Augen. Vogler ist zum Beispiel der, der von dem Banküberfall erzählt. Er macht aber auch kein Hehl daraus, dass er Wolfgang heißt wie der Autor. 60 Minuten lang verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Realität (na ja, „Realität“), zwischen Theater und Roman, zwischen ironischer Distanz und der für eine Schauspielerin, einen Schauspieler in Sekundenschnelle möglichen Hingabe an eine Rolle.
Das ist womöglich das Erstaunliche an dem kleinen Abend. Die Zärtlichkeit, mit der sich das sympathische Duo dem Text zuwendet, überhaupt die Zärtlichkeit der Veranstaltung. Es ist gar nicht die Regel, dass Theater so in jeder Minute mit einem Text ist, nichts auf- und gegenbürstet und doch nicht lahm wirkt.
Schauspiel Frankfurt, Kammerspiele: 27. Mai. 2. Juni. www.schauspielfrankfurt.de