1. Startseite
  2. Kultur
  3. Theater

Wer will schon er selbst sein

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

Corinna Pohlmann, hier als Ingrid, mit Christian Nickel, immer als Peer Gynt.
Corinna Pohlmann, hier als Ingrid, mit Christian Nickel, immer als Peer Gynt. © K. Lefebvre / Bad Hersfelder Festspiele

Schauwerte und ganz schönes Theater mit „Peer Gynt“ in der Stiftsruine.

Da schwingt noch etwas ganz anderes mit. Regisseur Robert Schuster, damals noch im Verein mit Tom Kühnel, hat Henrik Ibsens „Peer Gynt“ mit Christian Nickel in der Titelrolle schon einmal inszeniert, am Schauspiel Frankfurt vor 21 Jahren. Die Kritik des FR-Feuilletonredakteurs Helmut Schmitz bringt manches in Erinnerung, was Schuster offenbar immer noch daran gefällt. „Interessant wird’s, wenn Peer sich selbst in naturalistischer Puppengestalt als Kind begegnet und dieser Knabe am Ende auch den Part des Knopfgießers übernimmt. In dieser Passage hat die Frankfurter Aufführung ihren Höhepunkt“, schreibt Schmitz 1997 und fügt – man hört ihn seufzen – hinzu: „nach gut drei Stunden“. So lange müssen Sie auf diese Szenen aber nicht warten in der Eröffnungsproduktion der Bad Hersfelder Festspiele. Nach zweieinhalb Stunden (gleichwohl: Mitternacht zog näher schon, da Intendant Dieter Wedel in Hersfeld eine Pause eingeführt hat) endet sie mit einer stillen Pietà-Anordnung, die auch Schmitz schon auffiel.

Die Festspiele in der Stiftsruine, finanziell zuletzt immer wieder gebeutelt, waren nach dem Weggang des über Sexismus- und Übergriffsvorwürfe gestolperten Chefs zu Improvisationen, jedenfalls schnellen Umplanungen gezwungen. Erstaunlich, was Joern Hinkel, Wedels Stellvertreter, der nun rasch zum vorläufigen Intendanten gemacht wurde, auf die Beine gestellt hat. So dicht an ein größeres, ehrgeiziges Bühnenereignis heran – in dem nicht die Filme das Beste sind, obwohl sie auch gut sind und raffiniert – haben sich die Festspiele schon länger nicht mehr bewegt.

Robert Schuster sorgt schon dafür, dass man merkt, was das Theater kann und das Fernsehen eben nicht (selbstverständlich könnte, aber es selten tut). Auch Christian Nickel – Schmitz 1997: „ein junger Akteur, der eine Rolle auch dann bei sich hält, wenn sie noch nicht in allen Teilen die seine ist“ – zeigt mit inzwischen 49 Jahren, wie er eine Bühne und einen Abend zu beherrschen vermag. Denn der Hersfelder „Peer Gynt“ ist auf ihn zugeschnitten und nimmt sich zugleich Zeit und Platz für gute Einfälle und Schnapsideen. Stimmungswechsel gelingen, fad wird es nicht.

Zwischen gutem Einfall und Schnapsidee liegt die von Schuster ausgeschmückte neue Grundsituation: An Bord eines schmucken Schiffs arbeiten ausgelaugte Karrieristen und sportive Narren an ihrer Selbstoptimierung, angeleitet von der herben Nina Petri als Professorin Begriffenfeld – die bei Ibsen erst später in einer ägyptischen Irrenanstalt auftaucht und selbstverständlich ein Mann ist. Daraus ergeben sich ohne Ende alberne Mitmachübungen für das weitgehend willige Publikum, textlich sind die Einsprengsel in der „Bad Hersfelder Fassung“ angepasst an Soeren Voimas seinerzeit in Frankfurt uraufgeführte Übertragung. Spannender aber ist es zu sehen, wie sich Peers, Nickels Geschichten, Lügen, Träumereien ganz einfach aus dem modischen Buhei herausarbeiten können.

Gute Lügengeschichten interessieren jeden. Und mag Aases Tod als Seminarübung beginnen, so sausen Nickel und Petri doch bald tatsächlich durch Nacht und Wind, auch stirbt sie gewiss. Hinterher sind dann alle betroffen. Die – auch die MeToo-Debatte mehr oder weniger beiläufig touchierende – Ironie neben dem Ernst und der selbstsuggestiven Rührung: „Peer Gynt“ verträgt das alles gut, ein seltsames, bisweilen ja auch zähes und präpostmodern pädagogisierendes Stück. Wer will sich heute schon permanent sagen lassen, er solle er selbst sein.

Mit dem Zerfallenden der Handlung kommt Schuster problemlos zurecht. Zwanglos setzt auch er immer wieder neu an. Er lässt Solveig (die afghanisch-amerikanische Schauspielerin Leena Alam) als Fremde aus dem Meer kommen – eine blaue Stoffbahn über Baumstämmen, die weit nach hinten reicht. Jens Kilians Bühne setzt die Stiftsruine nicht maximal, aber immerhin in Szene. Die Welt der Trolle findet im Netz statt, das ist wirklich enorm vordergründig, aber so sind sie eben auch, die Trolle. Clarissa Freibergs Kostüme lassen Platz für froschgrüne Haut, so an Corinna Pohlmanns Trollprinzessin, die Peer putzmunter ihre Meinungen geigt. Die Videos von Torge Möller / FettFilm lassen auf zwei verschiebbaren Leinwänden nach vertrauter, aber gewitzt durchgeführter Methode Bühnen- und Filmgeschehen ineinander übergehen. Das sind Schauwerte, definitiv jedoch aus Peers Welt, wie auch die fabelhafte Kinderpuppe (geführt und gesprochen von Gloria Iberl-Thieme) nicht Deko, sondern integraler Bestandteil der Gynt’schen Zwiebel ist. Wie damals offenbar in Frankfurt. Hörenswert die Musik von Jörg Gollasch, mit einem Ideechen Grieg darin.

68. Bad Hersfelder Festspiele:
10., 14., 24., 25., 28., 31. Juli und weitere Termine bis 1. September.
www.bad-hersfelder-festspiele.de

Auch interessant

Kommentare