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Wiesbadener Staatstheater: Die Sprache, die nicht gesprochen werden darf

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Von: Sylvia Staude

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Er möchte sein altes Leben zurück: Keskin (l.) mit Steinheuser und Kaval Sidqi.
Er möchte sein altes Leben zurück: Keskin (l.) mit Steinheuser und Kaval Sidqi. © Karl und Monika Forster

Das Wiesbadener Staatstheater bringt einen bitteren Roman des kurdischen Autors Bachtyar Ali auf die Bühne.

Während der jüngste Roman des Kurdisch schreibenden, im Irak geborenen, in Deutschland lebenden Bachtyar Ali noch übersetzt wird, gibt es im Kleinen Haus des Wiesbadener Staatstheaters bereits eine Bühnenfassung davon zu sehen. Das ist Kaval Sidqi zu danken, die in Duhok, Autonome Region Kurdistan im Irak, die erste als Schauspielerin Arbeitende überhaupt war. Sie beförderte auch den Kulturaustausch zwischen Berlin und Bagdad. Und hat nun eine rund zweistündige Fassung von Alis „Die Besetzung der Dunkelheit“ erstellt; inszeniert hat Ihsan Othmann, ebenfalls Kurde.

Der Roman beschäftigt sich mit Sprache als Heimat, erzählt von einem Mann, der eines Tages aufwacht und nur noch eine Sprache spricht, die es offiziell gar nicht gibt. Das klingt wie ein Komödienstoff, aber Bachtyar Ali, einst vom Regime Saddam Husseins verfolgt, ist nicht zum Scherzen zumute. Sein Ismet Oktay, ein ultranationalistischer Türke, spricht plötzlich Kurdisch in einem Land, das versucht, das Kurdische und seine Sprecherinnen und Sprecher auszurotten.

Ziemlich erfolgreich auszurotten, denn in der Geschichte gibt es genau noch einen Übersetzer: Ali Ihsan Akansu arbeitet für den Geheimdienst und wird geholt, als Folter offensichtlich nichts nützt und sich die Fälle von Sprachenwechsel zu häufen beginnen. Er ist der Sohn Tarik Akansus, eines Linguistik-Professors und Sozialdarwinisten mit krampfhaft verleugneten kurdischen Wurzeln, der fanatisch die Auslöschung des Kurdischen betreibt, allerdings möchte, dass sein Sohn belauschen und bespitzeln kann. Ihsan wird später ein scheinbar korrekter Geheimdienstler sein, gleichzeitig versuchen, die Verwandelten – Verhexten? Verfluchten? – wenigstens vor der Hinrichtung zu bewahren. Er schlägt den Machthabern vor, sie in ein Irrenhaus in der Provinz verlegen zu lassen.

Ob Irren- oder Krankenhaus, das Haus der Oktays oder der Akansus: Olaf Grambows Bühnenbild besteht vor allem aus einem schneckenhausartigen Aufgang mit unauffälligen Türen, weiß angemalt. Es dreht sich, dann kann hinten das passende Mobiliar draufgestellt werden. Joachim Kuipers spielt zum kurzen Umbau am Klavier je kleine, geografisch wenig festgelegte Melodien. Und damit die Orientierung leichter fällt, werden zu Beginn jeder Szene Ort und Zeit auf die weiße Wand projiziert, denn der Roman spielt einerseits Mitte der 1940er Jahre, andererseits 1977/78: 1977 passiert Oktay diese für ihn schreckliche Sache. Dabei möchte er doch ein besonders guter Türke sein.

Ferhat Keskin ist dieser glühende Nationalist, der versucht, auf seinem „türkischen Blut“ zu bestehen – das aber ausgerechnet in der Sprache, die es angeblich gar nicht gibt, wegen der man ihn foltert und wegsperrt. Regisseur Othmann zeigt ihn, wie er blutüberströmt von der Decke hängt, einem Gekreuzigten nicht unähnlich. Im Irrenhaus prügelt er sich mit den dort ebenfalls eingesperrten Kurden. Überredet einen, der dort putzt, einen Brief zu schreiben, auf Türkisch natürlich, an seine Frau und seine Tochter, Kaval Sidqi und Christina Tzatzaraki (auch in anderen Rollen). Doch als er endlich vor ihrer Türe steht, wollen sie nichts von ihm wissen und drohen, die Polizei zu holen, wenn er nicht verschwindet.

Philipp Steinheuser ist der Geheimdienst-Übersetzer Ali Ishan, der sein Leben nicht in Gefahr bringen möchte, der beteuert, kein guter Mensch zu sein – der es aber dann doch tut, der es aber dann doch ist. Der kurdische Untergrund hält ihn für einen Verräter und erschießt ihn. Da ist sein Vater, Christian Klischat, schon längst bei den Machthabern in Ungnade gefallen und von eigener Hand gestorben. Tarik Akansu wollte als Held begraben sein, der schwule Sohn lehnt es ab.

Michael Birnbaum, Martin Plass, Lukas Schrenk sind Minister-Karikaturen, Militär-Karikaturen, Arzt, Geheimdienstler, Partygäste, Irrenhäusler. So dass die Geschichte der sogenannten „Sprachreformen“, des tatsächlichen Kurdischverbots, vielfältig und figurenreich aufgeblättert werden kann. Die Inszenierung bietet dazu klare Linien und lakonische Bilder. Und transportiert damit eindrücklich einen Stoff, mit dem das Publikum hierzulande nicht eben vertraut sein dürfte.

Staatstheater Wiesbaden, Kleines Haus: 22.-24. Februar, 4. März, 12., 19. Mai. www.staatstheater-wiesbaden.de

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