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„West Side Story“ in Frankfurt: Vom Schweben und vom Töten

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Von: Judith von Sternburg

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„Everything free in America“, singen die Puertoricanerinnen. Foto: Johan Persson
„Everything free in America“, singen die Puertoricanerinnen. Foto: Johan Persson © Johan Persson

Wieder in großer Form: Die „West Side Story“ in der Alten Oper Frankfurt.

Da rempeln sie wieder, auf Krawall aus, auf Mord aus. Als es so weit ist, erschrecken sie sich zwar, aber immer noch nicht genug. Der (rassistische) Hass und die Aggression in der „West Side Story“ stecken in jeder Bewegung, in jedem Fingerschnippen und in jedem Blick, und man kann hier sehr nah an der Bühne sitzen, und das Ensemble hält dennoch Stand bis ins Detail. Je nach gesellschaftlicher und privater Situation ist das ein Graus auch über die erzählte Romeo-und-Julia-Situation hinaus. Menschen wie Messer, und sie sausen frei herum, als wäre Gewalt auch bloß ein chemischer Prozess, unverhinderbar.

So komplex, so gezielt anti-simpel und dabei geschärft und zugespitzt an allen Ecken und Enden ist Leonard Bernsteins Musik, dass wenige Werke aus der Top-Unterhaltungsmusik es ähnlich verdienen, immer wieder aufgefrischt, aber kaum grundsätzlich verändert zu werden. Auch die gegenwärtige Produktion, seit September auf Tour, ist unheimlich auf Draht. Lonny Price heißt diesmal der Regisseur, Julio Monge der Choreograf, die sich beide respektvoll an den Ursprüngen orientieren, ohne sie blank zu kopieren. Das Fingerschnippen ist noch da, aber eher als Zitat, die Brutalität, die sich im akrobatischen Tanz reflektiert, vielleicht noch gewachsen, Schlägereien der Extraklasse. Der Tanz selbst dafür oft ein Schweben. Sie sind so jung und so stark, und alles könnte so einfach sein.

Das Bühnenbild (Anna Louizos) lässt die in diesem April restlos vergessene Hitze einer Großstadtsommernacht spüren. Und es ist beweglich genug, um Häuserschluchten, Hinterhöfe, Zimmer und Zimmerlein flott beizuschaffen und zu überspielen, dass die bühnentechnischen Möglichkeiten in der Alten Oper Frankfurt übersichtlich sind.

Leben statt Oper

Die Dynamik ist immens, gerade weil die Truppe nicht groß ist. Der Song „America“ ist so schnittig, dass die Luft knistern würde, wenn sie es könnte, und dass die beglückende Melodie nachher anklingt, wenn die „Jets“ über Anita (die eindrucksvolle Kyra Sorce) herfallen, ist so bitter wie das finstere Ende, ein totaler Antiklimax mit verebbender Musik. Drei sind tot, es ist alles gesagt. Leben statt Oper.

Grant Sturiale dirigiert im Off, Lautsprecher bringen alles ins Übergroße. Es wird englisch gesungen und gesprochen, was eine Freude ist (Obacht, nicht übertitelt, Blätter mit der Handlung liegen aber aus). Das Liebespaar ist modern und sympathisch, der für einen Musicalstar ungewöhnlich individuelle Jadon Webster als Tony und die strahlende und strahlend singende Melanie Sierra als ihrerseits am schönsten besungene Maria aller Zeiten.

Alte Oper, Frankfurt: bis 16. April. www.alteoper.de

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