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„Warten auf Godot“ in Mannheim: Greta hingegen ist da

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Gut, so ein Autoscooter, wenn er mal funktioniert. Wladimir und Estragon in Fahrt.
Gut, so ein Autoscooter, wenn er mal funktioniert. Wladimir und Estragon in Fahrt. © Hans Jörg Michel

„Warten auf Godot“, ziemlich munter am Nationaltheater Mannheim.

Ein Autoscooter ist im Rückblick – nach den turbulenten Rasereien als Kind – ein seltsamer Ort. Man kommt voran, aber nicht so richtig. Andauernd ist der Saft weg. Daraus ergibt sich in diesem Fall die erforderliche Einöde. In einem Autoscooter, aber einem weitgehend nicht funktionierenden, abgehalfterten, spielt „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett in der Inszenierung von Sandra Strunz für das Nationaltheater Mannheim.

Die Bühne von Philip Bußmann zeigt den erforderlichen Baum zunächst als japanisierende Wandbemalung, nach der Pause ist die Rückwand weg und ein karger Baumstamm zu sehen. Das Nicht-Vorankommen im kraftlosen Wägelchen ist kein so schlechtes Bild für den agilen Stillstand im Leben Wladimirs und Estragons. Indem Strunz die beiden mit der aktuellen Klimadiskussion in Verbindung bringt – die wie gelähmten Erwachsenen, die im Unbehagen doch passiv bleiben –, ist der Anblick eines noch so untauglichen Autos nicht verkehrt. Zur „Lohengrin“-Ouvertüre kommt ein Erdballballon ins Spiel, Charlie Chaplins Interpretation für den „Diktator“ wird ins Ökologische gewendet. Als der Ballon vom ausnahmsweise fahrtüchtigen Autochen plattgemacht worden ist, können die Erwachsenen ihn nicht mehr aufpusten.

Der Junge zischt ihnen aus dem Nichts ein paar Greta-Thunberg-Worte entgegen. Mitten im ansonsten unbehelligten Text (in der Übersetzung von Elmar Tophoven) ist das ein verblüffender, alptraumartiger Moment.

Auch klingt das platter, als es ist. Strunz baut ihre Interpretationsangebote dezent ein. Auch wenn der Text dadurch nicht an Tiefe gewinnt, so wird den Zuschauern doch eine Bequemlichkeit genommen, die sie gegenüber dem vertrauten Theaterereignis entwickeln können. Merkwürdige Sache, dass Tiefe bequem sein kann. Das Konkrete nimmt der Handlung, also Nichthandlung die melancholische Unverbindlichkeit, die die Gewohnheit mit sich bringt (nicht Becketts Text selbst, dem eine grelle Wahrhaftigkeit innewohnt, diese fällt nur unter Umständen nicht mehr so auf).

Vor allem wird aber kraftvoll gespielt, auch hierbei dürfte die ungewöhnliche Umgebung hilfreich sein. Matthias Breitenbach und Martin Weigel als Estragon und Wladimir sind ein stabiles, lebensvolles Paar. Estragon hat in der Pause anscheinend eine nicht sehr schlüssige Travestie durchlaufen und trägt nun ein bisschen verlegen seine feinen, wenn auch schon wieder gerupften Strumpfhosen (Kostüme: Daniela Selig). Wladimir schwimmt extrem sportlich durchs trockene Fahrgeschäft. Man muss nicht zart sein, um in einer Situation dauerhaft festzustecken.

Das eigentliche Virtuosenstück liefern aber Samuel Koch und Robin Krakowski als Pozzo und Lucky. Koch zunächst im Schneidersitz auf einem Stuhl auf Krakowskis Rücken, eine unheimliche Paarung, die durch Kochs Querschnittslähmung noch krasser, ungleich existenzieller erscheint. Das war inzwischen schon öfter zu erleben, und es ist immer wieder erstaunlich: Wie Kochs Handicap die Regie auf Ideen bringt, die sonst vermutlich ebenso möglich wären, aber erst jetzt wird es probiert – oder erst jetzt erzielt es Wirkung. Bei Pozzo saust auch das Auto sofort los.

Luckys großes Denken ist dann eine auch enorm witzige Steigerung in den völligen Irrsinn und die völlige Erschöpfung. Beide sind nach der Pause Schatten ihrer selbst, aber auch diesem Schatten kann man lang zuschauen. Als Knäuel hängen sie aus dem Auto – rücksichtslos gegen sich und ihre wie Puppen behandelten Körper –, und Pozzo ruft matt um Hilfe. Von der Seite steuert Karsten Süßmilch Zirkusmusik bei und verwandelt sich problemlos in Godots Boten. Godot, der hier ganz besonders abwesend war.

Nationaltheater Mannheim: 26. Oktober, 9., 15., 18., 30. November. www.nationaltheater-mannheim.de

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