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Der verrückteste Tag

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Ein Hochzeitsfest hat kraftraubende Seiten.
Ein Hochzeitsfest hat kraftraubende Seiten. © Andreas Etter

Das Staatstheater Mainz macht sich und dem Publikum einen Spaß mit einer spartenübergreifenden "Hochzeit".

Zwischendurch brüllt die Braut den Bräutigam in einer asiatischen Sprache an, faltet ihn zusammen – geht verblüffend einfach – und reißt sich die Kleider vom Leib. Auch dies nicht im übertragenen Sinne. Es gibt diese Stimmungen, in denen ein Schreianfall nicht reicht, unglücklich nur, wenn sie auf einen solchen Tag fallen. Eben war die Braut doch noch so glücklich. Die Gäste tragen es mit Fassung und spielen mit ihrem inzwischen abgeschnallten Schaumstoffbabybauch Rugby. Oder American Football. Sie kennen die Regeln eh nicht.

Hochzeiten haben ihre eigenen Gesetze. Musik, Tanz und Spiel gehören dazu, bei denen sich Paare finden und verlieren können, dazu Reden, schlimmstenfalls kleine Aufführungen, über kurz oder lang Zankereien, Enttäuschungen, Gereiztheiten. Ein großformatiger Tanz- und Schauspielabend, konzipiert von dem Choreografenduo Rosalba Torres Guerrero und Koen Augustijnen, lässt fast nichts aus. Hier das Vergnügen, gemeinsam zu tanzen und zwar wie irre, dort die herzlichen und doch peinlichen Zeremonien: der Ring, der nicht passt (trotz hingebungsvoller Bemühungen der zungenfertigen Brautjungfer), der Brautvater, der ein paar Allgemeinplätze zum Besten gibt. Und in der besuchten zweiten Vorstellung auch noch die Technik, die kurz ins Stocken geriet, die Grenze zwischen Leben und Bühne restlos verschwimmen ließ und das Programm ein bisschen durcheinanderbrachte. Denn „Hochzeit“ ist auch eine Show, mit Musik – die Mainzer Band Vibes gibt den Ton an –, Zaubertricks und einer biegsamen Dame am Hochreifen, mit ganz unterschiedlichen Tänzern und Tänzen. Am mitreißendsten die Folklore, die aus vielen Kulturen kommen dürfte und durch die Erklärungslosigkeit archetypisch wird. Eine Hochzeit ist hoffentlich ein Riesenspaß, aber auch eine Kontaktbörse erster Güte, ein Ort zum Sehen und Gesehenwerden. Menschen zeigen, was sie können: schön aussehen, hoch springen, ganz oft in die Hocke gehen, Stühle mit den Zähnen durch die Luft schleudern (ein gutes Gebiss und belastbare Knie: treffliche Auslesekriterien bei der Partnerwahl). Die archaische Seite der Feier, das große Muskelspiel der jungen und nicht mehr so jungen Leute, greifen die Tänzer in akrobatischen Szenen auf. Nachher wird es aber auch wunderbar ironisiert, wenn ein imposanter, aber scheu wirkender Bodybuilder vor den Hochzeitsgästen auftritt. Eine goldige Reihe relativ winziger Ballettschülerinnen macht es ihm nach und darf sich einmal an seine Arme hängen. Der Mensch macht gerne Quatsch.

Man spürt, wie alle Beteiligten den Abend auch mitentwickelt haben, der dadurch ein immenses Maß an Individualität und manchmal auch an Leerlauf bekommt. Es ist eben nicht alles sinnvoll im Leben, wie gesagt. Grandios schlagen sich die tanzenden Ensembleschauspieler. Die Sprechszenen, teils witzig, teils bitter – die schönsten davon aus Joël Pommerats Stück „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ –, erinnern daran, wie kompliziert sofort alles wird, wenn man darüber redet.

Wie immer macht es viel mehr Spaß, einer Hochzeit zuzusehen, als selbst dazuzugehören. Wie immer ist das Mainzer Publikum bereit, sein Scherflein beizutragen und „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ mitzusingen. Draußen an der Fassade wird es indes ernst. Der Banner für das Stück des Abends gehört derzeit dem Wunsch, Mainz 05 möge erstklassig bleiben. Auch diese Stadt hat ihre eigenen Gesetze.

Staatstheater Mainz, Großes Haus: 13., 20., 29. Mai, 2., 4., 7., 13., 22. Juni.
www.staatstheater-mainz.com

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