Vergangenes Glück

Bellinis "Norma", szenisch karg und emotional wuchtig inszeniert von Christof Loy.
Ursprünglich sollte „Norma“ von Vincenzo Bellini als Übernahme einer Inszenierung der Norske Opera Oslo in der Frankfurter Oper Premiere haben. Aus „künstlerischen Gründen“ habe man aber Abstand von dem Projekt genommen und sich zu einer eigenen Kreation entschlossen, mit der man Christof Loy betraute.
In Oslo hatte Sigrid Strøm Reibo auf voluminöse Bild- und Raumwirkungen gesetzt, die zwischen Neo-Gothic, magischem Realismus und Dark-Wave angesiedelt waren. Kein ganz abwegiger Piktoralismus angesichts einer keltischen Welt, deren Druidensteine, magische und blutrünstige Opferrituale aus der Perspektive der römischen Besatzer als barbarisch und atavistisch erscheinen mussten. Das strahlende Rom, wo Amor und andere zivilisierte Gottheiten das Leben sinnlich und vielfältig machen, war eine Verheißung modernen Lebensgenusses und dorthin wollte der römische Prokonsul in Gallien, Pollione, seine neue Geliebte, die Tempelnovizin Adalgisa, mitnehmen.
Das ist das kulturelle Spannungsfeld in der 1831 uraufgeführten Oper des vier Jahre später im Alter von 34 Jahren verstorbenen Komponisten Bellini. Die alten Ordnungen stoßen auf die neuen und in Gestalt der weiblichen Akteure, der Druidenpriesterin und Seherin Norma sowie ihrer Novizin Adalgisa kommt es zum clash of civilizations. Als manifester Krieg und Aufstand, aber auch, und wie es sich für die Oper gehört, besonders als Herzensqual, Eifersucht, Untreue und Rache. Der politische Rahmen spielt nicht nur die Rolle, Chöre einsetzen und aufrührende Intonationen aktivieren zu können, sondern hat hier noch eine spezielle, pikante Bedeutung, insoweit ihn Norma für ihre amourösen Turbulenzen funktionalisiert. Die Druidenpriesterin ist Meisterin der Verstellung, macht sie doch ihre seherischen und priesterlichen Entscheidungen letztlich abhängig von ihrer eigenen, subjektiven Befangenheit. Das eine Mal Schonung als Gottes Wille gegenüber dem Prokonsul, mit dem sie zwei Kinder hat. Vernichtung der Römer als göttlicher Befehl, als sie Polliones Untreue bemerkt, das andere Mal.
Solche Aspekte scheinen es aber nicht gewesen zu sein, die Christof Loy bei seiner Interpretation bestimmt haben. Alle Akteure sind in einem ähnlichen, zur Dürftigkeit tendierenden Otto-Normalverbraucher-Look gekleidet, der bei Norma zu einem Trümmerfrauen-Outfit neigt (Kostüme Ursula Renzenbrick). Eine graumäusige Volksgemeinschaft, nachkriegsgereift, biedersinnig. Zu diesen Kluften von der Stange aus der Kleiderkammer passt das Ein-Raum-Bühnenbild: ein karger, holzverschalter Raum-Kasten, der nur in seiner Höhe variiert und mit vielen umgestürzten Stühlen bestückt ist. Eine unbehauste Baracken-Ästhetik, der jeglicher Schauwert fehlt.
Alles Kultische, bei Bellini einen großen Teil des Settings und Klingens ausmachend, ist entfernt – chorische Prozessionalität ist fixierte Massen-Skulptur. Beim berühmten „Guerra, guerra“-Chor ist das Volk dann ganz aus dem Häuschen. Die Tendenz von Loy-Inszenierungen, Regie-Prinzipien zu Tode zu reiten, funktioniert dabei aber ganz gut. Denn der karge, von kollektiver Dynamik weitgehend entlastete Raum konzentriert auf das private Drama der Mutter gegenüber ihren geliebt-gehassten Kindern, der verlassenen und neue Hoffnung schöpfenden Gattin, der Nebenbuhlerin und deren Solidarisierung mit Norma. Entsprechend nimmt die Dramatik immer dann Fahrt auf, wenn das Beziehungsdrama im Fokus steht. Und dessen Höhepunkt wird erreicht, als sich der treulose Liebhaber zur ménagerie à trois einfindet.
Dann schlägt Elza van den Heevers große Stunde, denn das ehemalige Frankfurter Ensemblemitglied hat sich dem schmucklosen, drastischen und derben Habitus ihrer Auftrittsformatierung vollkommen anverwandelt. Am Boden hockend, auf Tisch und Stuhl, mit Stühlen um sich werfend, mit den Fäusten um sich schlagend, springend, sich krümmend. Eine Frau in den Trümmern ihres Espressivo-Korsetts alle ihre Mitstreiter an die Wand spielend. Gaëlle Arquez als Adalgisa hat manchmal Gelegenheit, sich diesem Furor zu stellen – vor allem im Solidarisierungsduett „Si, fino all’ore...“. Vorher, bei der Offenbarung ihrer Liebe zu Pollione gelingt dabei Elza van den Heever die schönste Passage mimischer Co-Passion, gedenkend ihres eigenen, vergangenen Glücks.
Die Figur Pollione, die im Libretto Felice Romanis als ein in seiner römisch-metropolitanen, liberalen Haltung konsequent stehender Liebhaber erscheint, wird stiefmütterlich behandelt. Er bekommt nicht die Chance, seine Haltung als eine wahrer Leidenschaft zu beglaubigen.
Zur kargen Szene mit dem Energiebündel der nach allen Seiten hin ausschlagenden Tobenden und Taumelnden im Zentrum passte irgendwie ganz gut die Fehlanzeige dieses Abends in Sachen Belcanto. Gerade „Norma“ ist durch Sängerinnen wie Maria Callas, aber besser noch durch Joan Sutherland, Montserrat Caballé und vor ein paar Jahren Cecilia Bartoli in Salzburg, wo ein ähnliches Regie-Konzept wie in Frankfurt realisiert wurde, Idealtypus dieser Vokalität. Die hat ihr Gewaltiges im Besänftigten, in der Souveränität der Stimmdistinguierung. Statt Italianità in registerkonsistentem Melos, homogen und bis ins fragile Sinken oder in steilste Höhe schnellend gleichfließend, war in Frankfurt teutonische Wucht und Verve angesagt. Gewaltig vor allem bei donnernden und scharfen Klangstrahlen. Manches Starke dieser getrimmten Frauenrolle war aber doch eher nur das alte Megären-Klischee.
Eine schön gedeckte Stimme, zu Beginn teilweise forciert, bot Stefano La Colla als Pollione, und Gaëlle Arquez machte stimmlich und in ihrer zwischen allen Stühlen sitzenden Rolle einen glänzenden Eindruck. Die vokalen und instrumentalen Säulen des Ganzen, der Chor der Oper Frankfurt (Leitung: Tilman Michael) und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester waren makellos. Antonino Fogliani, der 41-jährige Dirigent aus Messina, verstand es, die Brücke von sachter und sentimentaler Diktion zu getragener und harscher Düsternis sowie brennender Kraft zu schlagen.
Oper Frankfurt:
14., 17., 20., 23., 27. Juni. www.oper-frankfurt.de