Tennessee Williams im English Theatre Frankfurt: Catharine im Kuckucksnest

Tennessee Williams’ „Suddenly Last Summer“ im English Theatre Frankfurt.
Das English Theatre in Frankfurt hängt immer noch in einer enervierenden Warteschleife, in der es permanent um etwas Geduld gebeten wird. Direktor Daniel Nicolai konnte vor der jüngsten Premiere, die hoffentlich nicht die letzte im Hochhaus Gallileo sein wird, immerhin berichten, dass es jetzt einen runden Tisch geben soll, an dem auch der Investor Capitaland teilnimmt. Nicolai bedankte sich artig bei der Commerzbank, obwohl diese nichts anderes tut als endlich ihre Pflicht und Schuldigkeit – da sie beim Verkauf des Gebäudes an Capitaland offenbar nicht auf die städtebauliche Festschreibung einer kulturellen Nutzung im Untergeschoss hingewiesen hat.
Am Tag vor dem offiziellen Auszugstermin (die Commerzbank hatte den Untermietvertrag zwischendurch bis Mitte April verlängert) fand also die Premiere statt, so dass man gut auch „Kaltblütig“ hätte spielen können.
„Suddenly Last Summer“ (1958) des US-Dramatikers Tennessee Williams (1914-1983) beleuchtet ähnlich wie Ken Keseys „Einer flog über das Kuckucksnest“ die zweifelhafte Praxis der Lobotomie bei Psychiatriepatienten. Hier geht es um eine traumatisierte junge Frau, Catharine Holly, deren Erinnerung auf den Wunsch ihrer alten Tante durch die Gehirn-OP ausradiert werden soll. Nicht, weil diese es gut mit ihr meint, sondern weil Aunt Violet eine Zeugin auslöschen möchte: Geradezu grotesk war ihre Bindung an Sohn Sebastian, den, angeblich, großen Dichter. Dass er homosexuell, vielleicht pädophil war, ein Mensch, der andere ausgenutzt hat – Catharine hat beim Spanienurlaub begriffen, dass er sie als Köder benutzte –, darüber darf nicht gesprochen werden. Schon gar nicht über seinen schrecklichen Tod durch eine Meute von Jungs.
Violet Venable hat die Mittel, ihren Wunsch durchzusetzen: Dr Cukrowicz verspricht sie eine Förderung seiner Lobotomie-Forschung. Indessen versuchen Mutter und Bruder, Catharine davon zu überzeugen, dass sie den Mund halten muss. Sonst ficht Violet am Ende noch Sebastians Testament an, in dem er den Geschwistern je 50 000 Dollar vererbt.
Auf rostrotem Sand, vor rostrotem Hintergrund (Bühne, Kostüme: Eleanor Bull) – man meint, Hitze flimmern zu sehen – kommt man zusammen, damit der Doktor Catharine begutachten und (in Mrs Venables Sinn) entscheiden kann. Violet schwärmt ihm mit leuchtenden Augen von Sebastian vor. Catharine quält sich mit ihrer Erinnerung. Der Doktor, Jared Garfield, hat ihr eine Wahrheitsdroge gespritzt, obwohl sie doch nichts als die Wahrheit erzählen möchte. George und Mrs Holly, Daniel Bravo und Gretchen Egolf, sorgen sich vor allem um das Geld.
Regisseur Josh Seymour setzt in diesem konzentrierten Stück (90 pausenlose Minuten) zu Recht auf die starke Präsenz der beiden Darstellerinnen der Hauptfiguren, die auch mit Abstand den meisten Text haben: Kathryn Pogson ist der Prototyp einer besitzergreifenden, eifersüchtigen, am Ende zerstörerischen Mutter, Katie Matsell das tragisch verliebte „girl“, in der Falle sitzend zwischen Mutter und Sohn, ein Opfer ohne Entscheidungsfreiheit.
„Suddenly Last Summer“ ist freilich auch ein Drama, das nicht gut gealtert ist. Spanische Kinder, die umstandlos zu Kannibalen werden, dazu eine Mutter, der zuzutrauen wäre, dass sie ihren Sohn lieber selbst auffrisst, als ihn einer anderen zu überlassen: Hinter solche Klischees hätte eine heutige Regie doch wenigstens ein zartes Fragezeichen setzen müssen.
English Theatre Frankfurt: bis 4. Juni. www.english-theatre.de