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„Tartuffe“ in Wiesbaden: Reich und schön

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Von: Judith von Sternburg

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Maria Wördemann und Christoph Kohlbacher, Elmire und Tartuffe. Foto: Karl und Monika Forster
Maria Wördemann und Christoph Kohlbacher, Elmire und Tartuffe. Foto: Karl und Monika Forster © Karl und Monika Forster

Der unverwüstliche „Tartuffe“ in Wiesbaden

An einer Stelle macht es die Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg vielen von uns leichter. Der berühmte Heuchler Tartuffe wird da als Verfechter eines gnadenlos austauschbaren Frömmlertums gezeichnet – aus diversen Stofftaschen, die er mitgebracht hat, kann er Accessoires für christliche, muslimische, jüdische Riten ziehen. Auch ein Räucherstäbchen ist zur Hand. Einerseits ist es eine (mindestens) seit seinem Bayreuther „Parsifal“ vertraute Laufenberg-Idee, die Weltreligionen gemeinsam auf der Bühne ihr Wesen und Unwesen treiben zu lassen. Andererseits ist es gerade an diesem Abend ganz handlich, in Tartuffe nicht einfach einen Schurken unserer Tage zu sehen, den schlimmsten Egoisten, Speichellecker und Ausnutzer von allen.

Denn im Prinzip sind die Zeichen der jüngsten Molière-Inszenierung am Staatstheater Wiesbaden ganz auf eine welthaltige Gegenwart gestellt. Rolf Glittenberg hat ein schlichtes Bühnenbild gebaut, das auch für ein Boulevardstück geeignet wäre – ein Designersofa in einem hellen Salon, hinter einer Wand kann man rasch verschwinden und hervor schlupfen. Marianne Glittenbergs Kostüme vermitteln in Schwarzweiß einen eleganten Chic mit Resten von Barock, hier ein wenig Tüll, dort Samt und etwas Florales. Hinten drei große Fernsehbildschirme, auf denen Bilder zum Teil unterstützen, was ohnehin zu sehen ist (Christen, Muslime, Juden bei religiösen Vorgängen), zum Teil einen gelinden Bilderoverkill servieren, dies vor allem zu Beginn, als die Welt der Orgons noch einigermaßen in Ordnung ist. Die Fernsehapparate laufen, die Großmutter – die wunderbar knochentrockene Monika Kroll – schimpft über die Jugend von heute, und im Ganzen sieht es so aus, als gehörte die Familie selbst in „Sturm der Liebe“ oder „Reich und Schön“.

Dazu passt, dass keine besonders leichthändige Komödie zu sehen ist, das Timing ist sogar ein bisschen behäbig. Aber die Konstruktion funktioniert, weil sie einfach zu gut ist, und weil das Ensemble sich mit Lust hineinwirft. Eine moderne und zugleich konservative Familie – derzeit tatsächlich kein Widerspruch. Maria Wördemanns Elmire ist die pure, dabei ungerührte Verlockung, der Molière einige Jahrhunderte vorab interessante Statements zur MeToo-Debatte in den Mund legte. Wördemann lässt sie kühl herausperlen. Auch Elmires Bruder, Christian Klischat, ist die personifizierte Vernunft, Christina Tzatzaraki als Dorine die dritte im Bunde derer, die ihre sieben Sinne beisammen haben. Marlene-Sophie Haagen ist die gehorsame Tochter, der Laufenberg einen großen Auftritt gibt, als die Zwangsehe näher rückt und es uns auch vom Saal aus kalt den Rücken herunterlaufen kann.

Unter Rabauken

Lukas Schrenk ist der bis ins Rabaukige aufbrausende Sohn, der natürlich im Recht ist, Michael Birnbaum der bis ins Rabaukige aufbrausende Vater, der natürlich im Unrecht ist. Er ist es, der Tartuffe ins Haus gelassen hat. Dass er in der ersten Zuschauerreihe sitzt, während Elmire ihm die Augen öffnet: recht ungeschickt, weil man Orgons Momente der Erkenntnis nach der langen Zeit der Bräsigkeit schon gerne sehen will. Genießerisch zeigt sich jedenfalls der Schuft, Christoph Kohlbacher, der ferner aber eine Weile nackt sein muss.

Nach drei Stunden geht das Staatstheater davon aus, dass eine solche Geschichte nicht gut endet.

Staatstheater Wiesbaden: 5., 10., 13., 17. Mai. www.staatstheater-wiesbaden.de

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