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Tanzmainz-Festival: Schatten und Freude

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Von: Sylvia Staude

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Die großartige Solène Weinachter in „Antigone“. Maria Falconer
Die großartige Solène Weinachter in „Antigone“. © Maria Falconer

Im Kleinen wie im Großen lässt das Tanzmainz-Festival nicht nach.

Im unterirdischen Spielraum des Mainzer Staatstheaters, U17, ist ein doppelter Stuhlkreis aufgebaut. Eine junge Frau in schwarzer Hose und weißer Bluse begrüßt das Publikum freundlich, weist auf freie Plätze hin, schüttelt hier und da die Hand, fragt nach dem Namen, wird später dazu auffordern, für ein paar tiefe Atemzüge und gemeinsame Seufzer die Augen zu schließen. Ach je, wo sind wir denn da?

Bei „Antigone, Interrupted“, Regie und Choreografie Joan Clevillé vom Scottish Dance Theatre aus Dundee, Tanz und alles andere die aus Paris stammende Solène Weinachter. Bei so einer griechischen Tragödie seien ja normalerweise Scharen von Menschen auf der Bühne, sagt sie, in der Runde sitzend, aber wir müssten mit ihr Vorlieb nehmen.

Vorlieb? Die Kritikerin hat schon einige „Antigones“ gesehen, aber noch keine so auf den Kern konzentrierte, großartig bewegende, auch moderne. Weinachter setzt ihren Körper ein, sie ist ja Tänzerin, sie biegt ihn also in krasse Formen der seelischen Qual. Sie spricht den englischen Text mit reizendem französischem Akzent und einer Intensität, der man sich nicht entziehen kann. Setzt sich zwischendurch wieder, erzählt von Theaterbesuchen und „Antigone“-Aufführungen. Kehrt zurück in den Kreis, ist eine, die lieber stirbt als ihren Bruder nicht zu begraben. Schreit, heult, knurrt, gibt den Hund, hebt zum leisen Urinstrahl-Geräusch (auch das macht sie selbst) das Bein, tanzt Sirtaki, deutet mit den Händen eine Krone an und ist auf der Stelle Kreon. Oder, auf den Knien und mit verzerrter Stimme, die Bürger, die vor ihm den Kotau machen. Am Ende der guten Stunde „Antigone, Interrupted“ bleibt nur die Frage: Warum ist Solène Weinachter noch kein Filmstar?

Auch dieses atemberaubende Solo war im Rahmen des vierten Tanzmainz-Festivals zu sehen. Während man als an Tanz interessierter Mensch in Frankfurt den Eindruck haben muss, dass die aktuelle Situation dieser Kunstsparte desolat ist, sieht man in Mainz nun: überall und gar nicht so weit weg gäbe es tolle Choreografien und inspirierendes Tanztheater zu entdecken – wenn es nur jemand finden und nach Frankfurt holen würde.

Aus Italien ins Große Haus kam „Bayadère – The Kingdom of Shades“ von Michele di Stefano, getanzt vom Nuovo Balletto di Toscana. Eine düstere Geschichte von Mord, tragischer Liebe, einem Schattenreich erzählt das klassische „La Bayadère“-Ballett, der Choreograf nimmt in seiner einstündigen Fassung nur die dunkel-geisterhafte Stimmung auf. Dräuend schwebende, schmerzhaft verzerrte Musik (Lorenzo Bianchi Hoesch) wechselt mit der von Ludwig Minkus ab. Das Ensemble trägt schwarze Socken, Höschen und Shirts, einige eine Art Startnummer: „S“ steht da zum Beispiel, vermutlich für „Solor“, den edlen Krieger.

Geschmeidig und fast wie im Traum kreiselt das Ensemble immer wieder ineinander. Oder formiert sich kurz zum streng exerzierenden Corps, zwölf Tänzerinnen und Tänzer in vier Reihen. Oder legt sich lässig und sexy ab, Hüfte und nacktes Bein präsentierend. Nur angedeutet wird die Liebe zwischen Solor und der Tempeltänzerin Nikiya.

Für einen politischen Protest nutzte das durchweg griechische Ensemble von „Lamenta“ den Auftritt in Mainz: Die Regierung plant, Abschlüsse von Kunst Studierenden generell auf Abitur-Niveau herabzustufen. Eine Gemeinheit, die sich offenbar auf die Bezahlung von Bühnenschaffenden auswirken würde.

Choreografiert haben „Lamenta“, ein 75-minütiges Stück, das traditionelle griechische Musik und Tänze nutzt, Koen Augustijnen und Rosalba Torres Guerrero. Wie „Happy Hype“ von den Schweizern Quinch Quinch x Mulah, das anschließend im Glashaus für Partystimmung sorgte, feiert „Lamento“ trotz des Titels den Tanz auf mitreißende, wenn auch zart melancholische Weise.

Immer neue Formationen der ganz in Schwarz und/oder Weiß gekleideten neun Tänzerinnen und Tänzer (Kostüme: Peggy Housset) ergeben sich, zwanglos lösen einzelne sich zu einem Solo aus der Gruppe. Stimmung und Bewegungssprache wechseln nicht dramatisch, es basiert ja alles mehr oder weniger auf den Formen des Volkstanzes. Trotzdem ist das abwechslungsreich genug, ist von starker Energie, bisweilen fröhlichem Schwung. „Lamenta“ scheint beweisen zu wollen, dass der Mensch von Natur aus ein Tanzender ist, und zeigen zu wollen, dass den tanzenden Menschen Freude erfüllt und er sie weiterreichen kann, zu einem begeisterten Publikum.

www.tanzmainz.com

Lässige sexy Schattenwesen in „Bayadère“. Roberto De Biasio
Lässige sexy Schattenwesen in „Bayadère“. © Roberto De Biasio

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