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„Symptoms of Development“ von Jacopo Godani in Frankfurt: Geister im Depot

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Von: Sylvia Staude

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In „Symptoms of Development“ wird nicht nur verschraubt, auch geredet und gesungen. Foto: Dominik Mentzos
In „Symptoms of Development“ wird nicht nur verschraubt, auch geredet und gesungen. Foto: Dominik Mentzos © Dominik Mentzos

„Symptoms of Development“, Jacopo Godanis letzte Premiere als Chef der Dresden Frankfurt Dance Company.

Als der Choreograf William Forsythe Anfang des Jahres sein Archiv ans Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien gab, als auf der dortigen Pressekonferenz Ausschnitte aus seinen zukunftsweisenden, stilbildenden Werken zu sehen waren, konnte man sich erneut die Frage stellen, warum die Stadt Frankfurt, als sie zum Jahrtausendwechsel knapp bei Kasse wurde, die Abrissbirne – und was für eine gnadenlos radikale Abrissbirne es war – ausgerechnet gegen den Tanz schwang. Gegen das weltberühmte Ballett Frankfurt, einige Jahre früher schon gegen den Mousonturm, so dass das S.O.A.P. Dance Theatre nicht mehr finanziert werden konnte. Sogar die beiden kleinen, alteingesessenen Frankfurter Companys von Marie Luise Thiele und Vivienne Newport mussten bluten, obwohl das eher die Portokasse betraf. Frankfurt war einmal eine Tanzstadt, wenn die Kritikerin anderswo Kolleginnen traf, wurde sie darum beneidet. Energie und Impulse des Balletts strahlten außerdem in andere Sparten aus.

Zum Ende der Spielzeit 2003/04 wurde das Ballett also aufgelöst. Die Politik klopfte sich selbst auf die Schulter, dass sie eine deutlich kleinere, private Forsythe Company ermöglichte. Von dieser wurde, da auch die Stadt Dresden und das Land Sachsen Geld gaben, ein Spagat verlangt. 2015 zog sich Forsythe zurück, er war erschöpft von der jahrelangen Verantwortung, dies ja zusätzlich zur künstlerischen Arbeit als Choreograf, die er wie in einem ehrgeizigen Forschungslabor immer weiter und weiter getrieben hatte.

Warum dieser Rückblick? Weil jetzt, acht Jahre nach Forsythes Rückzug, das letzte Stück im Bockenheimer Depot Premiere hatte, das Jacopo Godani verantwortet. Wir wissen nicht, wer beziehungsweise ob überhaupt jemand Kundiges damals die Verantwortlichen der Stadt bei der Entscheidung für einen neuen künstlerischen Leiter beraten hat, ob es genügte, dass Godani einmal Tänzer des Balletts Frankfurt war, ob es genügte, dass er schon dies und das choreografiert hatte. Wen man jedenfalls nicht fragte, obwohl das doch naheliegend gewesen wäre: William Forsythe. Er verbat sich denn auch, dass die Truppe weiter unter seinem Namen auftrat und tourte; so entstand das sperrige „Dresden Frankfurt Dance Company“.

Trotzdem wurde 2015 versprochen: Regelmäßig würden Werke Forsythes im Spielplan der neuen, sofort komplett andere Tänzerinnen und Tänzer umfassenden Company auftauchen.

Damit war es freilich in den vergangenen acht Jahren nicht weit her. Lieber zeigte Jacopo Godani ein eigenes Stück nach dem anderen. Damit wirtschaftete er den künstlerischen Ruf der unglücklichen Company ziemlich runter. Wer dank Bill Forsythe in Frankfurt zum Tanzliebhaber, zur Tanzkennerin geworden war, blieb dem Bockenheimer Depot, dem Spielort der Company, alsbald fern, orientierte sich um. Und fährt etwa nach Wiesbaden, Darmstadt, Mannheim, Mainz oder noch weiter weg.

Warum dieses Urteil über Jacopo Godanis Choreografien, warum das Fazit, dass es sich um keine gute Leitungsbesetzung handelte? Das Grundübel, aus dem anderes folgt, ist, dass er seinen exzellenten Tänzerinnen und Tänzern keine Individualität gestattet, oft auch keine Mimik – wenn ihre Gesichter nicht im Dämmerlicht oder hinter Masken verborgen sind. Das führt zusammen mit Godanis repetitiv-artistischer, charakteristisch ruheloser Bewegungssprache zu polierten Oberflächen, dazu, dass Menschen auf der gern dunklen Bühne zu Maschinen werden. Stück um Stück, so haben wir es in Erinnerung, arbeitete sich das Ensemble ab, die Beine wie Zirkel, bei den Frauen überdehnt, die Arme unermüdlich wirbelnd, die Hüfte sich verschiebend, der Oberkörper sich wellend. Oft schien am Rücken nur die Schraube zum Aufziehen zu fehlen.

Dabei konnte das Thema der Choreografien nicht groß und wichtig genug sein – die Entwicklung des Menschen, die Zukunft des Menschen, nichts weniger –, doch da das Bewegungsmaterial mehr oder weniger das gleiche blieb, waren die Choreografien bald schwer zu unterscheiden.

Dafür ist das letzte Stück, „Symptoms of Development“ (Symptome der Entwicklung), ein anderthalbstündiger Flickenteppich, eher zwanglos zusammengenäht, und laut Godani ein „finales Satirespiel, in dem alles auf den (Versuchs)Tisch kommt“. In der Tat: Lack-Plateaustiefel und Sportdress, Rapgesang und Kasatschok, Dancefloor-Wummern (von 48Nord) und virtuose Akkordeonmusik, von Sergey Sadovoy live gespielt. Hinten werden Riesen-Augen oder Jahreszahlen eingeblendet, 2041, 2049, 1986 ... es wird viel geredet, mal Laborchefin, mal Theatergebäudemakler gespielt. In dem Gebäude, Achtung, sollen zwei ums Leben gekommene Tänzer spuken. Da staunt der mögliche Käufer, lauscht, hört aber nichts.

Einen Spaß will Jacopo Godani sich zum Schluss machen, „Symptoms of Development“ hat darum schräge, auch ungewohnt bunte Elemente. Die „Tanzpokalypse“ droht, der Countdown läuft. Aber ein großer Teil ist auch typischer Godani. Gesichtslose Tänzerinnen und Tänzer winden sich und kriechen wie Würmchen oder stecken in senkrechten Schaukästen. In jedem der eingeblendeten Jahre, ob 1986 oder 2049, wird das gleiche Bewegungsvokabular abgespult.

Im Herbst wird Ioannis Mandafounis die Dresden Frankfurt Dance Company übernehmen. Auch er hat einst für Forsythe getanzt, als Choreograf ist er ein relativ unbeschriebenes Blatt.

Bockenheimer Depot: 25.-28. Mai. www.dresdenfrankfurtdancecompany.

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