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„Stammgäste“ von Michael Herl in der Stalburg: Ein Chopin Ebbelwei

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Von: Stefan Michalzik

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„Stammgäste“ in der Stalburg in Frankfurt: Die Anfängerin (Isabel Berghout, l.), der Stammgast (Ulrike Kinbach) und hinten: Michael Herl als Wirt Karl. Foto: Niko Neuwirth
„Stammgäste“ in der Stalburg in Frankfurt: Die Anfängerin (Isabel Berghout, l.), der Stammgast (Ulrike Kinbach) und hinten: Michael Herl als Wirt Karl. © Niko Neuwirth

Jesses, jetzt bestellt sie einen Süßgespritzten: Michael Herls Stalburg-Stück „Stammgäste“.

Irgendwann, nach grob geschätzt einem guten Dutzend „Döschen“, eine Art von Kosewort für Calvados, beschließen die beiden ziemlich unterschiedlichen Frauen, die sich gerade am Tresen kennengelernt haben, gemeinsam auf die Pirsch zu gehen. Kerls klar machen. Leitdevise: Was die Männer können, können wir auch. Frauen klar machen auch nicht ausgeschlossen, oder solche, die nicht das eine und nicht das andere sind.

Man steckt eh nicht drin

Solch eine Offenheit, erklärt die weitaus ältere der beiden, ist von Vorteil, erhöht sich das verfügbare Angebot so doch auf hundert Prozent des geschlechtsreifen Teils der Menschheit. Attraktivität? Alter? Zweitrangig. Hauptsache gut im Bett. Aber, wendet die Jüngere ein, was ist mit dem Wunsch nach einer liebevollen Partnerschaft? Steckt man doch eh nicht drin.

„Stammgäste“, das neue Stück von Michael Herl, dem Gründer des Frankfurter Stalburg-Theaters, macht unter der Regie von Rainer Ewerrien die herrlich naturbelassene Apfelweinkneipe selbst zur Kulisse (normalerweise wird im Saal nebenan Theater gespielt). Und Herl spielt den Wirt Karl, einen von der aussterbenden Sorte in Frankfurt, authentisch ausgestattet mit Lederweste überm Karohemd und Wirtsschurz. Launig-knodderig, behäbig im Habitus, schwerfällig der Gang. „Ein Chopin“ sagt er beim Servieren eines Apfelweins. Der Pfälzer Herl gibt im perfekt kulturell angeeigneten hessischen Dialekt eine schauspielerische Glanzleistung, würdig für das Prädikat „Bester Nebendarsteller“ – selbst wenn er ohnedies der einzige ist.

Zehn Gebote für den guten Gast hat der Wirt ausgegeben, die junge Rechtsanwältin und Zufallsbesucherin Sophie – Isabel Berghout – verstößt gegen etliche. Sie schneit telefonierend – Thema: ein Insidergeschäft mit Schweinehälften – herein und will nach beträchtlicher Entscheidungsschwäche einen Süßgespritzten, was selbstredend hausverbotsträchtig ist.

Novizin trifft weiblichen Stammgast: Ihren Freund hat die Anwältin gerade verlassen, nachdem dieser Fremdsex hatte; in einer bodenständigen Winzerin, die gleichfalls Sophie heißt – Ulrike Kinbach –, findet sie eine Lehrmeisterin, was einen sachgerechten, will heißen: im äußersten Maß abgeklärten Umgang mit Männern anbelangt. Sprüche über Sprüche, bis hin zu einem Feelgood-Ende. Praktisch nur Altbekanntes, das hier aber mitnichten so abgestanden wirkt wie Karls Soleier, sondern ausgesprochen amüsant und sympathisch. Aus quasi nichts – viel „Story“ gibt es hier nicht – etwas Originelles machen, das ist eine Kunst. Respekt.

Stalburg-Theater, Frankfurt: 28./29. Dezember. www.stalburg.de

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