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Sebastian Hartmanns „Traumnovelle“: Ganz außer Atem

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Von: Judith von Sternburg

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Damen und Herren suchen Nähe in befremdlicher Lage. Foto: Birgit Hupfeld
Damen und Herren suchen Nähe in befremdlicher Lage. Foto: Birgit Hupfeld © Birgit Hupfeld

Sebastian Hartmanns „Traumnovelle“ verunglückt am Schauspiel Frankfurt und sucht Rettung in Theaterpopanz

Auch Sebastian Hartmann und das Schauspiel Frankfurt kennen sich schon länger. Seine glücklose Schmidtstraßen-Inszenierung von Eugène Ionescos „Das große Massakerspiel oder Triumph des Todes“ führte 2006 versehentlich zur skandalösen Spiralblock-Affäre. Seine „Dämonen“ nach Dostojewski waren 2015 ein schwarzfunkelnder Bühnenzauber. Sein „Revisor“ war 2016 zumindest ziemlich lustig.

Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“, würde man annehmen, müsste ihm liegen, manifestiert sich in seinen Chiaroscuro-Bildern doch das unbehaglich Träumerische, das – wenn alles gut geht – Unverbindliche und doch Bedeutungsvolle, das in den Seelen nachts herumturnt und den Verstand an sich zweifeln lässt. Allerdings geht es nicht gut, überhaupt nicht gut. Das Theater, immer eine Risikoveranstaltung, versucht, sich in Popanz und Routine zu retten, vielleicht mit der Ironie der Verzweiflung. Wallende Nebel, superlaute Musik, Saallicht, als ein Monolog von Caroline Dietrich noch einmal volle Aufmerksamkeit verlangt. Ein Moratorium für sinnfreie Nacktheit auf der Bühne ist schon häufiger gefordert worden und hat naturgemäß immer etwas Spießiges – wobei Sebastian Kuschmann diese Aufgabe schön eiskalt absolviert –, wesentlicher wäre aber doch eins für das Im-Kreis-Rennen, das hier bis zum Überdruss exerziert wird. Schwer zu sagen, ob sie im Kreis rennen, weil die verblüffende Ideenarmut einfach keine andere Möglichkeit mehr ließ, oder ob sie außer Atem kommen sollen. Nach pausenlosen 135 Minuten kann man zu Erstem neigen.

Auch diesen Abend eröffnet Hartmann mit seinem Edgar-Allan-Poe-Lebensarbeitsmotto: „Alles, was wir sehen und scheinen, ist nichts als ein Traum in einem Traum.“ Die wie immer ebenfalls von ihm eingerichtete Bühne verspricht spektakuläre Bilder: die Drehbühne im kahlen Riesenwürfel des Schauspielhauses (dem wir, ehrlich gesagt, schon jetzt hinterherheulen, aber was soll’s) ist mit einem dunklen Granulat bedeckt, das von der Mitte aus große Wellen wirft. Der weiße Ballon, der ab und an von der Decke gelassen wird, ist offenbar der Tropfen oder das Steinchen, das hier hineinfällt/hineingefallen ist. Man wartet regelrecht darauf, dass das Ensemble irgendwann die Wellen aufmischt, so kommt es dann auch.

Wie der Tonarm eines Plattenspielers kann sodann eine gewellte Barriere heruntergekurbelt werden, die beim Drehen der Bühne die ruhige Wellenfläche (halbwegs) wiederherstellt. Dies geschieht ebenfalls manches Mal. Es ist symptomatisch für das Flaue und Theoretische im Geschehen, dass daraus wenigstens von der fünften Reihe aus trotzdem keine übermäßig wirksamen Ansichten entstehen. Neben der Nebelmaschine tut dafür Lothar Baumgarte am Licht, was er kann, um Stimmung zu erzeugen.

Neun Damen und Herren in Abendgarderoben umtanzen den Kreis zunächst lang und lustig. Eine Trompete erschallt, ein Klavier steht bereit, aber noch lieber ist die Musik laut. Und jetzt denken Sie, das stand doch vorne schon, aber es wiederholt sich ja auch im Laufe der Vorstellung wieder und wieder.

Nach einer ganzen Weile setzen sich Heidi Ecks, Manja Kuhl, Annie Nowak und Dietrich, Christian Kuchenbuch, Christoph Pütthoff, Matthias Redlhammer, Holger Stockhaus und Kuschmann vorne an die Rampe und reden ein bisschen. Pütthoff fällt aus der Rolle, indem er immer wieder wegsackt. Nowak nachher, indem sie hysterisch wird, Redlhammer, indem er sich maßlos erschreckt. Immer wieder schreit einmal einer, und wie. Alle entschuldigen sich am laufenden Band. Immer wieder kuscheln sie sich zusammen, suchen Nähe im Befremdlichen, spenden Trost den Aufgebrachten.

Ecks wird die Einzige sein, die eine Erschießungsszene überlebt und zwar (natürlich) wieder, wieder und wieder (der Hinweis des Theaters, dass mehrfach geschossen wird, ist nicht überflüssig, das ist richtig schlecht auszuhalten). Stockhaus wird zwischen Theaternebel ausgiebig und virtuos im Granulat tanzen, mit sich ringen, versuchen, sich eine Maske abzuschälen, die er nicht trägt. Nowak wird überhastet Teile der „Traumnovelle“ nacherzählen. Kuschmann wird wütend die Episode mit den Burschenschaftlern rausschreien, während er sich auszieht. Ja, immer wieder wehen Schnitzler-Fetzen vorüber, in aufgewirbelter Abfolge. Denn obwohl Adriana Braga Peretzki (Kostüme) gegen Ende noch veritable Maskenspiele bietet, bleibt die Handlung der „Traumnovelle“ völlig unwesentlich.

Die erotisch ins Schlingern geratenden Hauptfiguren Fridolin und Albertine – im kollektiven Gedächtnis sind durch Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“ vor allem Tom Cruise und Nicole Kidman abgespeichert – kann jeder der neun sein. Aber meistens sind sie nicht anwesend. Der Text, die Textcollage ist bloß Vehikel für die Traumstimmung, die aber nicht aufkommt: kein Traumhyperrealismus, keine irre intensivierten Gefühle. Es wird dann mit Theaterroutine und einigen feinen Einlagen aufgefüllt.

Der ordentliche Beifall war von einigen Buhs durchdrungen. Auch begann direkt die Abwanderung (zwischendurch suchten ebenfalls ein paar das Weite, und das will angesichts der indiskreten Türen des Schauspielhauses etwas heißen). Die Stimmung in einem vollbesetzten Haus ist nach wie vor eine Freude. Jetzt aber besser nicht zu viel Kredit aufs Spiel setzen.

Schauspielhaus Frankfurt: 13., 16., 17., 20., 22., 31. März, 1., 16., 19., 20. April. www.schauspielfrankfurt.de

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