Podium zu Menschenrechten in Russland, Belarus und der Ukraine – Vom „Ich weiß es nicht“ zum „Ich wollte es nicht wissen“

Bei den Maifestspielen berichten Menschenrechtsorganisationen von der Lage in der Ukraine, Russland und Belarus.
Das sind so Konstellationen. Parallel zum ursprünglich im Großen Haus vorgesehenen Pussy-Riot-Auftritt im Wiesbadener Schlachthof (siehe Bericht links) veranstalteten die Maifestspiele eine Diskussion mit Vertreterinnen und Vertretern von Menschenrechtsorganisationen aus der Ukraine, Russland und Belarus. Der Versuch, dem Anspruch ungewohnt politischer Festspiele gerecht zu werden – der mit Anna Netrebkos natürlich festspielwürdigem Auftritt und den darauf erfolgten Absagen aus Charkiw und eben auch von Pussy Riot doch weitgehend zerstäubte –, scheiterte nun an eklatant mangelndem Publikumsinteresse. Ja, die Maifestspielbesucherinnen und -besucher wollten „Nabucco“ sehen, aber am Mittwoch hatten sie etwas anderes vor. Und die Interessierten, wer weiß, waren vielleicht direkt bei Pussy Riot.
Es war auch keine Diskussion, eher eine ausführliche Einschätzung der Lage in den drei Ländern, situationsgemäß eine finstere Einschätzung. Die drei Organisationen, das Zentrum für bürgerliche Freiheiten aus der Ukraine, Memorial aus Russland (inzwischen dort verboten) und Viasna aus Belarus – hier namentlich der inhaftierte Jurist Ales Bjaljazki – hatten 2022 gemeinsam den Friedensnobelpreis bekommen. Zwischen die Beteiligten ging insofern kein Blatt Papier. Im Gegenteil wurde die Zusammenarbeit hervorgehoben. Die Ukrainerin Nataliia Yashchuk erklärte, die Suche nach Tausenden Landsleuten, die nach Russland und auch Belarus verschleppt worden seien, stelle sich ohne russische und belarussische Hilfe noch aussichtsloser dar. Es sei gelungen, einige Menschen zu finden, sogar einige der verschleppten Kinder.
Alles schon seit 2014
Zugleich erinnerte Yashchuk daran, dass das zunächst mit Blick auf die Menschenrechtslage in der Ukraine gegründete Zentrum bereits seit 2014 mit russischen Kriegsverbrechen gegen die ukrainische Bevölkerung konfrontiert sei. Darüber werde zwar viel gesprochen, sie habe aber inzwischen die Befürchtung, dass es nicht laut genug gewesen sei. „Putin ist in die Ukraine gekommen, um zu töten“, sagte sie.
Zwischendurch sagte sie, es sei seltsam, über all das auf Russisch zu sprechen. Kein Problem, aber „ich baue meine Muttersprache in mir aus“, das Ukrainische, und sie registriere unter ihren Landsleuten ein wachsendes Interesse an anderen Fremdsprachen, Italienisch, Deutsch, eine große Umorientierung weg von Russland (gar nicht, überhaupt nicht Putins erklärtes Ziel).
Ihre Hoffnung bestehe darin, dass es eines Tages ein Tribunal gegen Putin geben werde. Hierfür sammle man jetzt das Material, dokumentiere, was sich nur dokumentieren lasse. Wenn man sich jedoch, wie gegenwärtig unter dem Druck der Kriegsverbrechen, nicht mehr auf das Recht verlassen könne, so Yashchuk, so eventuell doch auf den einzelnen Menschen. Der Mensch sei es am Ende, der handle, und er habe viel mehr Einfluss, als er glaube.
Das ist eine erschütternde Erkenntnis, wenn man sonst davon ausgeht, dass es gerade die Gesetze und der Staat, der sich um ihre Befolgung bemüht, sein sollten, die Menschen vor Menschen schützen. Aber auch die Russin Elena Zhemkova von Memorial erklärte, der Mensch könne und müsse gegebenenfalls größer sein als der Staat. Und auch sie sprach davon, dass in Russland alle Hoffnungen der 80er Jahre auf demokratische Entwicklungen und Freiheiten verflogen seien. Man habe viel geredet, aber immer noch nicht genug. Ihr Landsmann Sergei Davidis ergänzte, es seien die unbestraften Verbrechen in Russland, die nun zwangsläufig in die Nachbarländer schwappten.
Länder wie Belarus, über das es zwei Mythen gebe, so Kanstantin Staradubets; Erstens, dass dort gegenwärtig nicht so viel los sei, während es täglich Repressalien, Festnahmen, Verurteilungen gebe. Zweitens, dass belarussische Gefängnisse „normale“ Gefängnisse seien. Tatsächlich handele es sich um Einrichtungen wie aus Sowjetzeiten, deren Funktion es sei, Menschen psychisch und körperlich zu vernichten. Von Viasna-Gründer Bjaljazki, dessen Porträt er auf dem T-Shirt trug, habe man seit einem Monat keine Nachricht, das sei sehr beunruhigend und zweifellos auch so gedacht. Mindestens 1500 politische Gefangene gebe es im Land, sagte seine Kollegin Anastasia Vasilchuk.
Putins System
Davidis betonte, die Freilassung der politischen Gefangenen auch in Russland müsse die allererste Forderung sein – hier zeige sich die Grundlage des Putin-Systems und seiner Repressalien.
Wissen die Russinnen und Russen, was los ist? Die Beschaffung von Informationen sei zum Teil nicht unriskant. Aber die Mitverantwortung ihrer Landsleute könne man nicht wegreden, so Elena Zhemkova. Während man in der Sowjetunion zu Recht habe sagen können, man wisse nichts, so wisse man heute eher zu viel. Und aus einem „Ich will es nicht wissen“ werde später einmal wohl ein „Ich wollte es nicht wissen“.