„Parsifal“ in Koblenz: Karfreitagszauber im All

„Parsifal“ am Theater Koblenz ist ein wagemutiges raum- und zeitsprengendes Projekt.
Wagner-Aufführungen im Theater Koblenz sind ein Abenteuer, das erhaltene beziehungsweise wiederhergestellte Schmuckstück aus der Goethe-Zeit viel zu klein für den Größenwahn des fortschreitenden 19. Jahrhunderts. Aber Lust und Ideen sind vorhanden, diesmal für einen „Parsifal“.
Das Staatsorchester Rheinische Philharmoniker sitzt hinten auf der Bühne und sorgt unter der Leitung von Marcus Merkel für einen mehr als achtbaren, einen lupenreinen, leichten Karfreitagszauber. Davor eine aufblasbare Rippenkuppel von Bodo Demelius, die vielfältig mit den Videos von Georg Lendorff bespielt wird und das Geschehen kurios in die Sphären ferner, fantastischer Welten verschiebt. Die Gralsritter sind multireligiös dekorierte Astronauten, die königliche Linie erinnert an Obi-Wan Kenobi.
Im 1. Aufzug der Inszenierung von Intendant Markus Dietze ist das ein sinnfälliger und melancholischer Dreh, man schaut Weltraumfahrern dabei zu, wie sie das Geschehen in einer naturlosen Ferne rekonstruieren. Gummibäumchen in rollbaren Töpfen, ein übergroßer Schwan werden emsig herbeigebracht. Nicht nur das Geschehens rund um den Gral ist hier offenbar Teil eines Rituals, auch die Handlung selbst.
Im 2. Aufzug, der die Blumenmädchen zunächst als munteres Nonnengrüppchen präsentiert, verliert sich diese Idee leider und weicht zunehmend Ausstattungsentscheidungen. Die kintopphaften Elemente bagatellisieren die Vorgänge dabei kaum. Wie so oft tut es den Wagner’schen Überhöhungen nicht schlecht, geerdet zu werden, und im Koblenzer Weltraum geht es recht solide zu. Es gibt sehr viel peinlichere Blumenmädchen-Szenarien als die Schar in Knallrot unter den Kutten, zumal sich die Frauen des Opernchores (Aki Schmitt) gut bewegen und stimmlich überzeugen. Zum Aktschluss sinkt die Kuppel traurig in sich zusammen, um sich zum Finale ein bisschen ulkig wieder zu straffen.
Dietze hat die anspruchsvolle Aufgabe, auf der schmalen Bühne, die Orchester und Kuppel noch lassen, mit einer Menge Mensch und Gerät fertigzuwerden. Er mag es sich schwer machen, wenn im 3. Aufzug, als wäre zu wenig los da vorne, Silhouetten von Tieren des Waldes erst hingestellt und alsbald prosaisch wieder abgeräumt werden. Überhaupt ist es gelegentlich ein Kommen und Gehen. Dann wieder findet er schöne Lösungen nämlich in schlichten Bildern, wenn etwa Gurnemanz und Parsifal sich selbst staunend dem Orchester zuwenden, der eigentlichen Quelle des Karfreitagszaubers.
Man erlebt „Parsifal“ visuell und akustisch geradezu einmalig als Kammertheater. Klettverschlüsse ratschen, Rädchen bollern, und wenn Klingsor den Speer hinwirft, dann schmettert es wie beim Gerüstebau. Parsifals Ausruf „Amfortas! Die Wunde!“ lässt aus dem Mund von Tobias Haaks das Haus erbeben, denn Wagner ist stimmlich Großformat, auch hier. Das zwangsläufige Rampensingen und das Orchester im Rücken tragen bei zu einem teils bizarren, teils aufregend unmittelbaren Hörerlebnis. Haaks ist eine gutmütig schlawinerige Manifestation des Titelhelden, der Gurnemanz von Jongmin Lim ein tadelloser Weltraumoffizier und Bass, Nico Wouterse ein aufgedreht halunkiger Klingsor, der die Gelegenheit nutzt, stimmlich in so überschaubarer Runde nuanciert zu deklamieren. Monika Mascus’ Kundry leidet unprätentiös. Hansung Yoo beeindruckt als Amfortas mit kultiviertem Bariton.
Am Ende eine auf die wieder stramme Kuppel projizierte Friedenstaube, aktuell und rückwärtsgewandt zugleich: Der Dirigent Hans Knappertsbusch hätte sie sich seinerzeit in der berühmten Bayreuth-Anekdote kaum schöner wünschen können.
Theater Koblenz: 8., 15., 26., 28. Mai, 4., 6., 18., 26. Juni. www.theater-koblenz.de