Oper „Frédégonde“ in Dortmund: Wenn Frauen zu sehr hassen

Eine Entdeckung der besonderen Art: Das Theater Dortmund widmet sich der Oper „Frédégonde“, an der auch Camille Saint-Saëns mitkomponierte. Von Judith von Sternburg
Gefühlte Minuten vor dem nächsten Lockdown, für dessen mögliche Notwendigkeit, so sie eintritt, die deutschen Theater zu 100 (hundert) Prozent nicht verantwortlich gewesen sein werden, demonstriert auch die Oper Dortmund noch einmal den seriösen Umgang mit Infektionsrisiken. Die Produktion, um die es geht, gehört nicht nur zu den bereits verschobenen, sie ist auch unter verschärften Corona-Bedingungen entstanden, man sieht es ihr an, man sieht die Liebe zum Theater und die Kreativität, mit der das geschehen kann. Ein großartiger Abend.
Dass das Werk selbst eine ungeplante, unplanbare Entstehungsgeschichte hat, passt hervorragend dazu. Dass es von Ehrgeiz und Begehren, von greller Gewalt und nacktem Hass erzählt, gibt ihm Spannkraft für alle Tage, auch für diese. „Frédégonde“ heißt die Oper, weil die Hauptfigur, Brunhilda, zu nah an Richard Wagners Walküre schien, mit der sie nichts zu tun hat – anders als die Musik, die zum Teil deutlich zumindest an den romantischen Wagner des „Tannhäuser“ oder „Lohengrin“ denken lässt und es triftig macht, die Produktion in die für 2022 erneut geplanten Dortmunder „Wagner- Kosmos“-Tage zu integrieren.
Komponist Ernest Guiraud (bekannt als Schöpfer der „Carmen“- und „Hoffmanns Erzählungen“-Rezitative, Oper zeigt sich hier insgesamt als Gemeinschaftsarbeit) starb 1892 über der Arbeit. Sein Schüler Paul Dukas übernahm die Orchestrierung der ersten drei Akte, der Kollege Camille Saint-Saëns – dies ist die eigentliche Sensation – komponierte die beiden hinteren Akte. So dass es nach der Pause eine mit Sinnlichkeit aufgeladene Szene zwischen Frédégonde und ihrem Mann Hilpéric gibt, die so sehr nach „Samson und Dalila“ klingt, wie es unter Eheleuten denkbar ist.
Die Handlung gehört in die Zeit der fränkischen Merowinger und hier vornehmlich Merowingerinnen. Frédégonde (gestorben 597 n. Chr.) und Brunhilda (545/550-613), die Königinnen von Neustrien und Austrasien, beharken sich in einer halb privaten, halb dynastischen Fehde. Historisch endet das für Brunhilda grauslig, in der Oper aber schon vorher und eine Spur lapidar mit dem Suizid von Brunhildas Gemahl Mérowig, der zugleich der Stiefsohn Frédégondes ist. Mit Zwischentiteln wird das Geschehen historisch aufgefüllt, aber ohnehin merkt man, dass es nicht um barocke Affekte geht. Hier weht ein schärferer Wind.
Im dominanten Film wird er spürbar trotz der Frühlingslandschaft. Denn Folgendes wird von Regisseurin Marie-Eve Signeyrole und ihrem Team geboten: Im riesigen Dortmunder Opernhaus sitzt das Publikum ausschließlich in den Rängen. Im Parkett verteilt sich der Chor (von Fabio Mancini geleitet), der auf diese Weise eine akustisch zutiefst befriedigende Rolle hat. Schemenhaft sind Individuen erkennbar, rücken einem durch Doppelauftritte auch im Film zudem noch näher.
Auf der Bühne gibt es einen bespielbaren Streifen, eine lange Tafel, an der die singenden Original-Königinnen und -Könige Platz nehmen und sich Höflinge und Geistliche tummeln können. Daneben ein zweites Tischlein für eine Schachpartie, die die beiden Antagonistinnen den Abend über spielen. Hinter dem Bühnenstreifen wird das Orchester sichtbar, geleitet von Motonori Kobayashi, der der heißen Musik mit einer Kühle begegnet, die sie erst recht schäumen lässt. Die opulenten Bläsersätze so reinlich, dass man die Akteure um ihre Nerven nur beneiden kann.
Überm Orchester schließlich die Leinwand, auf der der Film gezeigt wird. Gedreht wurde in und um Schloss Bodelschwingh, einem Wasserschloss der Familie zu Knyphausen, die auch einen Rheingauer Weinfreunden und -freundinnen vertrauten Zweig hat. Signeyrole und der für den Film hinzugestoßene Zusatzregisseur Laurent La Rosa machten damit im großen Corona-Loch 2020 aus der Not eine Tugend. Machten also überhaupt etwas, das jetzt das Bühnengeschehen zum Teil natürlich doppelt, zum Teil drastischer (mehr Nähe, mehr Gewalt, mehr Schrecken) ausgestalten kann, das gelegentlich auch eigene Wege geht. Das aber immer ein Verstärker für die Oper ist, nie eine schwächliche Ablenkung.
Im Gegenteil werden die Figuren umso stärker in Szene gesetzt, die Sängerinnen und Sänger mit schauspielerischen Qualitäten: Anna Sohn ist Brunhilda, deren Warte die Inszenierung einnimmt und deren Sopran leidenschaftlich blüht und flackert. Hyona Kim ist eine echt eiskalte Frédégonde mit dem Mezzo einer Frau, die keiner ungestraft herausfordert. Die Könige sind in diesem Löwinnenkäfig die Reagierenden. Umso mannhafter singen der mächtige Bariton Mandla Mndebele als Hilpéric und der herrlich sorgenfreie Tenor Sergey Romanovsky als Mérowig, der einfach Sänger und nicht König hätte werden sollen. Yashis große Opernkostümierung lässt die Truppe in Film und im Theater erst recht wie aus ihrer Welt herausgekegelt erscheinen.
Selbstverständlich wartet jetzt kein vernünftiger Mensch bis zum nächsten Jahr, sondern schaut und hört sich direkt wenigstens im Video diese bis in die Poren geglückte Entdeckung an.
Oper Dortmund: als Video-on-Demand jetzt auf takt1.de – als Wiederaufnahme geplant 2022 beim Festival/Symposium „Wagner-Kosmos“, 20.-22. Mai. theaterdo.de