Oper Frankfurt und die Pläne für 2022/23: Verachtet mir die Meister nicht

Die Oper Frankfurt hadert mit Sparforderungen und plant hellwach.
Von Bernd Loebe kann man bestimmt viel lernen, zum Beispiel aber auch, was Taktik ist. Der Intendant der Oper Frankfurt ist vermutlich ein großer Taktiker, „vermutlich“ muss man sagen, denn selbstverständlich gehört dazu, dass man es nicht merkt. Außer der Intendant will, dass man es merkt. Darin ist Bernd Loebe ein Meister, ein Meister der offenen Karten.
Also steckt er eine Premiere zu den Wiederaufnahmen, um in der momentanen Frankfurter Sparatmosphäre mit seinem (äußerst opulenten, prachtvollen) Programm nicht zu opulent und prachtvoll zu wirken und dann bei der Spielplanvorstellung allen anwesenden Journalistinnen und Journalisten und sonstigen multiplizierenden Persönlichkeiten (also allen) davon zu erzählen.
Und damit alle auch einzubeziehen in Erleichterung und Sorge: Einerseits haben die Saisonpläne für 2022/23 soeben wohlbehalten den Aufsichtsrat der Städtischen Bühnen passiert, andererseits war das nicht selbstverständlich. Es droht eine städtische Sparforderung von zehn Millionen Euro für die kommenden drei Jahre, beginnend mit dem Kalenderjahr 2023, so dass bei strikter Auslegung die nächste Spielzeit bereits davon betroffen gewesen wäre (das gedruckte Spielplanbuch darum: dezent, für das Kinderprogramm wird es noch eine extra Broschüre geben).
Er habe nun aber das Okay für die Saison, „was hier steht, wird auch so rauskommen“, zugleich, so Loebe, hoffe er, dass die Einsicht bei allen Beteiligten in der Stadt wachse: zehn Millionen im Jahr könne das Haus keinesfalls einsparen (oder, sagen wir mal und sagen auch andere: nur indem es drei Jahre lang ohne Neuproduktionen auskäme, was nicht die Idee sein kann).
Die Premieren
„Die Zauberflöte“ von Mozart (2.10.) ersetzt die beliebte Inszenierung von Alfred Kirchner. Ted Huffman („Rinaldo“) inszeniert, Julia Jones dirigiert.
„Die Meistersinger von Nürnberg“ (6.11.) bescheren Sebastian Weigle eine letzte große Wagner-Premiere als GMD, Johannes Erath inszeniert.
„Die Zauberin“ von Peter Tschaikowski (4.12.) war ein Vorschlag von Asmik Grigorian, die mehrfach in Frankfurt zu erleben sein wird. Vasily Bakhatov inszeniert, Valentin Uryupin dirigiert.
„Blühen“ von Vito Zuraj (22.1., Bockenheimer Depot) ist eine Uraufführung nach Thomas Manns „Die Betrogene“, Brigitte Fassbaender inszeniert, Michael Wendeberg dirigiert.
„Orlando“ von Händel (29.1. im Depot) wird – ein von Corona gestoppter Plan – ebenfalls von Huffman inszeniert, Simone Di Felice dirigiert.
„Francesca da Rimini“ von Saverio Mercadante (26.2.), ein Fundstück zwischen Rossini und Donizetti. Regie: Hans Walter Richter, Pult: Ramón Tebar.
„Elektra“ von Richard Strauss (19.3.), denn auch Loebe muss sich allmählich wiederholen, diesmal inszeniert Claus Guth, Weigle dirigiert.
„The Prodigal Son“ / „The Burning Fiery Furnace“ (2.4. im Depot) setzt die geheimen Frankfurter Britten-Festspiele fort, Manuel Schmitt inszeniert, Lukas Rommelspacher debütiert am Pult.
„Der Zar lässt sich fotografieren“ / „Die Kluge“ von Kurt Weill und Carl Orff (9.4.) stellt Dirigentin Yi-Chen Lin in Frankfurt vor, Regie: Keith Warner.
„Hercules“ von Georg Friedrich Händel (30.4.) bringt Barrie Kosky zurück (eh gut), Laurence Cummings dirigiert.
„Die ersten Menschen“ von Rudi Stephan (2.7.) wird (verheißungsvoll) von Tobias Kratzer inszeniert. Weigle dirigiert.
www.oper-frankfurt.de
Ein Damoklesschwert, sagt Loebe und demonstriert, was eine Flucht nach vorne ist, bei der der kluge Intendant nie zu erwähnen vergisst, wo er durchaus spart. Und dabei auf eine Million für die nächste Spielzeit kommt und der Stadt nämlich entgegen. Man sehe ja ein, dass Corona Lücken in den Haushalt gerissen habe.
2022/23 soll nach zweieinhalb Jahren mit dem Virus die erste Saison sein, für die das Haus auf Normalität (mit dem Virus) hofft – dazu wird unter anderem gehören, den Rückstau der vergangenen Monate aufzulösen. Noch bis 2025, so Loebe, werde es Produktionen geben, die seit Jahren auf die Ausführung warten. Die versteckte Premiere ist Frank Martins „Le vin herbé“, die erst nach der Generalprobe doch noch abgesagt wurde. Andere Produktionen sind mehr oder weniger weit geprobt, Ausstattungen sind teils fertig oder fast fertig (auch das spart Geld, selbst wer nie in die Oper geht, kann sich das doch vorstellen). Auch Kompromisse finden sich und locken: Ein Doppelabend mit Weills „Der Zar lässt sich fotografieren“ und Orffs „Die Kluge“ war zwischenzeitlich ein ebenfalls doch nicht mehr realisierbares Alternativprojekt, das jetzt umgesetzt wird – in einem Bühnenbild, das für „Boris Godunow“ gebaut worden ist. Weiterhin scheue er das gewaltige Chorwerk, so Loebe, aber vielleicht macht das ursprüngliche Provisorium auf einmal auch schlichtweg mehr Spaß. Vielleicht spart man jetzt sogar etwas Geld dabei.
Auch die Premiere, mit der sich Sebastian Weigle im Juli 2023 als Frankfurter Generalmusikdirektor verabschieden wird, war einmal anders geplant. Statt Prokofjews gewaltiger Choroper „Krieg und Frieden“ nun Rudi Stephans „Die ersten Menschen“.
Ach, meidet die Oper etwa Russisches? Keineswegs, so Loebe, er habe bei den ganz großen Chorauftritten derzeit nur etwas den Optimismus verloren. Abgesehen davon, dass die Tschaikowski-Rarität „Die Zauberin“ geplant ist, habe man etliche Verträge mit russischen Gästen. Ja, man suche das Gespräch, nein, man wolle am Haus mit niemandem zusammenarbeiten, der Putins Krieg gutheiße. Seiner Erfahrung nach sei es aber bei vielen Künstlern und Künstlerinnen sogar eher umgekehrt: Sie seien selbst Opfer der aktuellen russischen Politik.

Rudi Stephan übrigens, der Ende 20 war, als er im Ersten Weltkrieg fiel, galt seinerzeit als neues Junggenie neben Schönberg und Richard Strauss. 1920 wurde „Die ersten Menschen“ in Frankfurt uraufgeführt. Es sei charakteristisch für Weigle, sagt Loebe, sich auch auf ein solches Werk – vier Personen auf der Bühne – unbedingt einzulassen und nicht den großen Abschiedspomp zu erwarten. Weigle selbst probt gegenwärtig in Wien und ist nicht da. Er hätte rote Ohren bekommen bei all dem Lob, das der Intendant für ihn hat.
5000 Opernabonnements sind im Zuge der Pandemie gekündigt worden, von 12 000. Möglichst viele zurückzugewinnen, müsse in den nächsten Jahren ein zentrales Ziel sein. Unter anderem deshalb kosten einzelne Eintrittskarten aus Konsolidierungsgründen künftig zwar fünf Prozent mehr, die Abopreise sollen sich aber nicht ändern. Loebe wird mit Beginn der nächsten Spielzeit im September 20 Jahre am Haus sein. Weltrekord, vermutet er mal ins Blaue, was nicht stimmt, aber irgendwie stimmt es doch, hier und jetzt.