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„Menschenfeind“ in Mainz: Kostümfest mit Revolverhelden

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Von: Marcus Hladek

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Dieser Alceste schießt vielleicht auch scharf. Andreas Etter
Dieser Alceste schießt vielleicht auch scharf. Andreas Etter © Andreas Etter

Jan Friedrich inszeniert Molières „Menschenfeind“ am Staatstheater Mainz

Regisseur Jan Friedrich scheint sich den „Menschenfeind“ Jean-Baptiste Molières in seiner zweiten Mainzer Staatstheater-Regie als Filmset vorzustellen, da er Molière mit den Stoffen eines Helmut Dietl und dessen Helden Baby Schimmerlos und Monaco Franze assoziiert. Und doch sind Friedrichs eigene Kostüme für Alceste (Henner Momann) und für die Bagage, die den Misanthropen einrahmt, sowie das Bühnenbild von Louisa Robin offen für nicht so festgelegte Interpretationen.

Robins Bühne mit den Garderobenspiegeln und Regiestühlen, der Kamerafrau, dem „Silencio“-Warnlicht und den Kunsträumen gleicht nicht bloß einem Filmset. Sie zeigt zugleich die Rückseite und das Gewebe der Dinge, eine Perspektive, die uns über den Streit zwischen Menschenfeind und seichter Welt, Dame der Stunde und ihrem prüde-frömmelnden Gegenüber erhebt, indem sie das Staffagenhafte durchscheinen lässt. Friedrichs buntes Kostümfest mit Revolverhelden hier und einer Mixtur aus Teletubbies und Film-Glitzer dort bestätigt das: die Gesellschaft, eine Maskerade zwischen Sein und Schein. Eine Stadt des Karnevals wird das spontan goutieren.

Aus dem Salon von Celimène, also Alcestes Traumfrau (Leandra Enders), wird in Mainz ein Saloon mit Western-Schwingtür, in den am Schluss das Privatissimum von Celimènes Boudoir (viel Blau und Gold im Stil von 1666) einrollt. Was in und um den Salon passiert, begründet eine Überkreuz-Duellsituation – passend zur Westernwelt.

Alceste mit seinem pubertär-bockigen Ehrlichkeits-Fimmel duelliert sich mit der ganzen „verlogenen“ Welt, hat den vermittelnden Freund und Realisten Philinte (Daniel Mutlu) als Revolverheld zum Gegenüber und den talentlosen Verseschmied Oronte (Holger Kraft) zum Freind („Wer so ein Gedicht schreibt, der verdient den Strick“). Teletubbie-Celimène bekommt es mit der älteren Dame im US-Pionierkostüm (Iris Atzwanger als Arsinoè) zu tun, denn die neidet ihr die Blicke der Männer und schützt ihre prüden Moralappelle ans unverschämt junge Hürchen nur vor.

Wo alle Welt mega-kostümiert ist, hat es seine Logik, dass ausgerechnet die Molière-Gecken Clitandre (Johannes Schmidt) und Struwwelkopf Acaste (Benjamin Kaygun) sowie Oronte kaum mehr kostümiert erscheinen. Clitandres beigem Anzugjackett mit Streifenmuster und Brille sowie Acastes besserem Schlafmantel zu Cordhose und Sandalen gesellt sich noch ein peinlich privater dicker Dichter hinzu. Carl Grübel als Eliante rückt bei Friedrich dank seiner Sensibilität näher an die abwägende Celimène heran und trägt konsequent einen schwarzen Teletubbie-Partnersuit.

So weit, so gut. Natürlich bedient sich Friedrich der Übersetzung von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens, die den nötigen Abstand wahrt und in ganz eigenen schönen Reimen oder Wortfindungen („rattenscharf“, „notgeil“) äußerst heutig daherkommt. Nicki Frenkings Musik ist ein effektvolles Sammelsurium aus Renaissance, Geige, Bluegrass, Jazz, Club und dem und jenem live am Klavier. Eine Regiearbeit, die den harschen Ätzer Alceste gewitzt belächelt, statt ihn als großen Gesellschaftskritiker oder Quasi-Messias aufzubauschen – am Hof des Sonnenkönigs im Jahr 1666.

Staatstheater Mainz: 3., 13., 17., 30 Mai, 10., 16., 26. Juni. www.staatstheater-mainz.com

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