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„Mein Lieblingstier heißt Winter“ am Schauspiel Frankfurt: Aus dem Leben des Triceratops

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Von: Judith von Sternburg

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Vorne dirigiert und spricht Katharina Linder, im Diorama: Stefan Graf, Tanja Merlin Graf. Foto: Jessica Schäfer
Vorne dirigiert und spricht Katharina Linder, im Diorama: Stefan Graf, Tanja Merlin Graf. Foto: Jessica Schäfer © Jessica Schäfer

Der Roman „Mein Lieblingstier heißt Winter“ von Ferdinand Schmalz in einer cleveren Bühnenadaption am Schauspiel Frankfurt.

Die Theaterstücke von Ferdinand Schmalz sind vor allem durch die Schmalz’sche Kunstsprache so bühnentauglich, dass auch sein erster Roman dramatisiert werden musste. Darin gibt es zwar eine Erzählstimme, aber eben auch viel Sprache, die man sich anhören will und die erst ausgesprochen ihre Verästelungen und Blüten präsentieren und austreiben kann. Dazu viel verschrobenes sowie verbrecherisches Personal, wie man es aus dem Wien-Tatort kennt, aber da können sich die Figuren halt nicht ganz so gehen lassen.

Es wird spannend, auch überzeugen der Held und das Wetter: Der Held ist der Tiefkühlkostlieferant Franz Schlicht, kein Simpel, aber ein trotz eines nicht undramatischen Lebens integrer, geradeaus denkender Mann. Dem unerklärlichen Verschwinden eines Kunden wird er sanft, aber unnachgiebig nachgehen. Der Kunde dürfte nicht verschwunden sein, sondern müsste tot in seiner Tiefkühltruhe liegen. Daran sehen Sie, was für eine schräge Geschichte das ist (der Schlicht hat nichts Unrechtes getan, um das klar zu sagen). Das Wetter ist eine irre Sommerhitze, die die Menschen aufweicht und dem Schlicht Wahnsinnsgeschäfte beschert. Aus dem Stand hatte der österreichische Prosadebütant Schmalz mit einem Ausschnitt aus „Mein Lieblingstier heißt Winter“ 2017 den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen.

Für die Frankfurter Kammerspiele haben sich die Regisseurin Rieke Süßkow und die Dramaturgin Katja Herlemann eine Fassung geschrieben und ihr auch buchstäblich eine Fassung gegeben. Wie eine Dirigentin steht Katharina Linder in Lack und eine Nuance diabolisch mit dem Rücken zu uns. Sie spricht die Prosa und gibt den Figuren die Einsätze, wobei ihr das Sound Design von Max Windisch-Spoerk mit Finesse, Schärfe und einer der Vorlage angemessenen heiteren Ungemütlichkeit hilft. Ein klassischer Verfremdungseffekt insgesamt, aber Schauspielerinnen und Schauspieler in Dioramen – einer etwas altmodisch gewordenen Freude aus der Kinderzeit – sieht man gleichwohl nicht alle Tage. Marlene Lockemann hat ein drehbares Objekt gebaut, das unterschiedlich große Vitrinen vorüberfahren lässt, sinnfällig und pfiffig ausgestattet mit und ohne Mensch oder Tier. Auf Linders Wink bleibt das Objekt stehen, und auf ihren nächsten Wink hin erwachen die Figürchen darin zu Leben, jedenfalls zu einer Art von Lebendigkeit, und reden, plappern, ringen und zappeln. Dann übernimmt wieder die Erzählerin, die also auch eine Puppenspielerin ist, wie es sich für eine auktoriale Erzählstimme im Roman gehört. Merkt man im Getümmel nur sonst nicht so.

Eingangs ist der Dinosaurier Triceratops zu sehen, den von hinten ein (auf die Dioramarückwand gemalter) Tyrannosaurus belauert. Nachher steht eine vergrößerte Ameise in der Vitrine, die von einem Kernkeulenpilz befallen ist und einem grausigen Ende entgegensieht. Es ist eine gewalttätige Natur, von Schuld kann freilich nicht die Rede sein, die Frage ist bloß, wie der Mensch da hineinpasst. In der Verkürzung fürs Theater wird besonders deutlich, dass er womöglich auch bloß Teil eines kruden Fressens und Gefressen-Werdens ist. Anmerken lassen sich Schmalz im Buch und Süßkow auf der Bühne das über längere Zeit nicht.

Sabrina Bosshards Kostüme sind possierlich und lustig, dazu Perücken und Teilmaskierung. Rollen können entsprechend durchgereicht werden: Christina Geiße, Tanja Merlin Graf, Anabel Möbius, Melanie Straub, Stefan Graf und Wolfgang Vogler (zum Auffüllen der Dioramen dazu noch Statisterie) sind der strohblonde Schlicht, seine Stammkneipenbelegschaft, die mysteriösen Frauen und die bösen Buben. Nicht immer ist zu erkennen, wer dahintersteckt.

Das ist feine Unterhaltung, feines Handwerk und Timing. Skurril daran, dass unter Beteiligung so vieler hervorragend arbeitender und vorbereiteter Personen ausgerechnet das abhanden kommt beziehungsweise gar nicht im Fokus des Interesses steht, das der Roman bei allem Schauer und aller Künstlichkeit trotzdem bietet: Menschen, die man im Verlauf der Geschichte näher kennenlernt und über kurz oder lang mag. Hier mag man dafür gerne zuschauen, wie die großartige Linder alles am Laufen hält, freundlich, aber passend zu Schlichts Beruf eiskalt.

Der Handlung, die bei Schmalz eine verblüffende Kausalkette entwickelt, wird man schwer folgen können. Konsequenterweise wird am Programmhefttresen auch gleich der Roman (S. Fischer) verkauft. Ein noch so raffiniert gemachtes Theaterstück kann dennoch ein Triumph der Prosa sein.

Schauspiel Frankfurt: 24. April, 10., 21., 28. Mai. www.schauspielfrankfurt.de

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