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„Mario und der Zauberer“ in Darmstadt: Zeit des Unbehagens

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Von: Judith von Sternburg

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Showtime: Hier kommt der Cavaliere Cipolla, flankiert von den Puppenspielerinnen. Foto: Nils Heck
Showtime: Hier kommt der Cavaliere Cipolla, flankiert von den Puppenspielerinnen. Foto: Nils Heck © Nils Heck

Am Staatstheater Darmstadt gelingt eine kompakte Kammer-Lesart der Novelle „Mario und der Zauberer“

Das Theater als Geschichtenerzählmaschine hat nicht ausgedient, stattdessen gibt es ein Nachschubproblem, das sich auf 120 und vermutlich auch auf 1200 Zeilen nicht vollständig erklären ließe. Die Folge davon – dass nämlich die Geschichtenerzählmaschine tonnenweise literarische Prosa aufsaugt und zu anderthalb bis fünf Bühnenstunden umformt – hat ihre Tücken. Denn ein Roman ist kein Theaterstück. Es funktioniert aber immer wieder auch sehr gut.

Nur eineinviertel Stunden reichen der Regisseurin Brigitte Dethier am Staatstheater Darmstadt, um Thomas Manns Novelle „Mario und der Zauberer“ stimmungsvoll nachzuerzählen. Die latent bedrückende Atmosphäre ist eine jener latent bedrückenden Atmosphären, die man als bürgerlicher Mensch zugleich scharf fühlen und ignorieren wird, ist man doch kein Dummkopf, aber empfindlicher, als man wahrhaben will. Das Ärgerliche und das Beschämende übersteigen nur in Momenten das, was Feriengäste in einem Badeort in der Fremde (und nicht nur dort) ohne weiteres erleben können – grundiert allerdings von einer subtil und weniger subtil aggressiven Stimmung im seit kurzem faschistischen Italien der 1920er Jahre (Thomas Mann orientierte sich an einem Familienurlaub am Mittelmeer 1926, heute wird man unverzüglich an Meloni-Italien denken, s. FR v. 6.12.22).

Zunächst einmal gilt es aber, im Februar in einem fensterlosen Innenraum einen Eindruck von Sommerglut zu erzeugen, dem „blitzenden Blau“ und der „Schreckensherrschaft der Sonne“. Ausstatterin Carolin Mittler zeigt also himmelblau und sandgelb, dazu ein paar Klappstühle und Laubsägepalmen, die nachher im schwülen Wind wehen. Nein, es ist tatsächlich gar nicht so schwierig, einem deutschen Publikum ein italienisches Gefühl zu vermitteln. Hinten steht eine selbsttätig walzende Drehorgel, und wiederum dahinter spielt die Musikerin Marie-Christin Sommer die sanft, aber nicht freundlich ploingernde E-Gitarre. Auch wenn es angedeutet wird, bleibt das Folkloristische im Rahmen, überhaupt das Dekor.

„Mario und der Zauberer“ ist in Darmstadt manchmal ein bisschen possierlich und meidet das Vordergründige. Flirrendes Unbehagen liegt dennoch über der Szene, während die ironisch leichte Aufmerksamkeit des Autors sich entfaltet und durch die Reihe des kleinen Ensembles gereicht wird. Auch die Musikerin redet mit, vor allem aber übernimmt das deutsche Paar den Erzähltext.

Die Frau, Edda Wiersch, hat sich chic gemacht und radebrecht in der Landessprache, der Mann, Béla Milan Uhrlau, trägt kurze Hosen. So sind sie, die Deutschen. Stefan Schuster dreht am Strand das Radio fürchterlich auf. So sind sie, die Italiener. Ansonsten hatten wir sie anders in Erinnerung. Schuster gibt den diversen Hotelangestellten wie den – durch eine besonders unerquickliche Anekdote auf den Plan gerufenen – Behördenvertretern eine gleichmütige Härte. Man kennt sie, sie wirkt, sagen wir einmal: europäisch. Er ist ferner der sensible Kellner Mario, der in Darmstadt etwas hinten runterfällt.

Hannah Elischer und Mia Lehrnickel markieren die beiden Kinder der Urlauberfamilie bloß, werden fließend auch zu verschiedenen Italienerinnen. Vor allem haben die beiden Studentinnen der Puppenkunst-Abteilung an der Hochschule für Schauspiel Ernst Busch in Berlin die Aufgabe, nachher den unheimlichen Cipolla zu unterstützen. Der Zauberer (Hypnotiseur, Hochstapler, Faschist) ist in Darmstadt eine Puppe. In einer Geschichte, in der es spätestens von der Zaubershow an um die Frage geht, wer den stärkeren Willen hat, ist das kein neuer, aber erneut prägender Einfall. Erstens ist Cipolla an sich eine klassische Großschauspielerrolle, eine Klaus-Maria-Brandauer-Rolle (und so kam es im Kino ja auch), zweitens ist es gruselig, dass eine Puppe Menschen wie Puppen tanzen lässt.

Dennoch oder gerade deshalb geht es auf. Nicht nur weil Magdalena Roth ein unheimliches Menschengesicht mit gespenstisch dürrem Leib im schlackernden Anzug hergestellt hat. Als Zuschauer Mario den Schuft, der ihn im Zuge der Show demütigt, schließlich niederschießt, fällt Cipolla in Darmstadt auch wirklich in sich zusammen, „ein durcheinander geworfenes Bündel Kleider und schiefer Knochen“. Hier: keine Knochen. Das Böse, es ist keine faszinierende Persönlichkeit, es ist – nichts. Sobald man es gestoppt hat, verschwindet es wie ein Spuk. Eine Botschaft, natürlich.

In Erinnerung bleibt auch Schusters kalter Blick als Durchschnittsmensch. Draußen im Leben braucht das Böse Helfer und findet sie.

Staatstheater Darmstadt: 12., 16., 25. Februar, 2., 12., März. www.staatstheater-darmstadt.de

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