Juli Zehs „Corpus Delicti“: Die Fitness-Tracker

Juli Zehs „Corpus Delicti“, pfiffig auf die Bühne gebracht von der Katakombe Frankfurt.
Im Auftrag der Ruhrtriennale schrieb Juli Zeh 2007 das Stück „Corpus Delicti“ über eine künftige Diktatur der Gesundheitsüberwachung – ein Theaterstück, das mit jedem Bericht über die Entwicklung neuer, umfassenderer Fitnesstracker und Health-Apps aktueller (und gruseliger) erscheint. Bald werden die Apparate einen daran erinnern, dass man sich bewegen soll, bald mahnen, wenn sie nur einen Hauch Nikotin oder Ethanol registrieren.
Beim Mahnen bleibt es in Juli Zehs Stück nicht. Wir schreiben das Jahr 2057, regelmäßige Blut- und andere Tests sind Vorschrift, jede Art von Droge ist selbstverständlich verboten. Im kleinen Kulturhaus, wo nun die Katakombe Frankfurt „Corpus Delicti“ in einer einfallsreichen und zupackenden Inszenierung von Carola Moritz zeigt, schlängelt sich ein erklecklicher Teil des Publikums schon vor der Pause gut gelaunt mit dem Weinglas in der Hand zum jeweiligen Platz.
Im Mittelpunkt Mia Holl, Biologin und überzeugt von der „Methode“, dem System, das alle Bürgerinnen und Bürger vor körperlichem Leid bewahrt – nur dürfen tun sie halt nichts. Aber dann nimmt sich Mias Bruder Moritz im Gefängnis das Leben: er soll eine junge Frau ermordet haben, die DNA-Spuren scheinen es zu beweisen. Es ist aber auch klar, dass der Staat ihn nicht ungern aus dem Weg hat, Moritz hat geraucht, getrunken, zu viel geliebt sowieso. Zum ersten Mal zweifelt Mia an der Unfehlbarkeit der Wissenschaft, weil sie an die Unschuld ihres Bruders glaubt. Sie möchte in Ruhe trauern dürfen, die staatlichen Gesundheitsüberwacher triezen sie, bringen sie vor Gericht, es kommt zum Konflikt.
Bilder vom Verfall
Medizinbälle, Sportkleidung, weiße Badekappen statt Richterroben, ein in der Pandemie typisch gewordener Desinfektionsmittel-Spender: die Ausstattung des Ateliere Fantômas bebildert, worauf es in dieser Gesellschaft ankommt, Fitness und penible Hygiene. Im Hintergrund aber Fotografien Sven Fennemas von „Lost Places“ in Italien: ehemalige, nun verfallende psychiatrische Anstalten, blätternder Putz, rostende Metallbetten.
Mit kräftigem Strich sind alle Figuren gezeichnet. Heinrich Kramer, so etwas wie der Guru der herrschenden „Methode“, wird von Christoph Gérard Stein als diabolischer Schönling gezeigt, der sich auf politische Winkelzüge versteht. Richterin Sophie, Judith Speckmaier, Staatsanwalt Bell, Sören Messing, und Rechtsanwalt Rosentreter, Leonard Schärf, haben alle einen leicht abstoßenden Tick (und halten ihn imponierend durch). Sie sind Karikaturen, aber Rosentreter ist mehr als das, plötzlich menschlich. Am vielschichtigsten Ronja Rückgauer als Mia, sie singt ein paar Songs Rolf Stahlhofens, darunter „Große Mädchen weinen nicht“. Und auch das passt in diese pfiffige Inszenierung.
Kulturhaus Frankfurt: 3., 10., 15., 17., 22., 24. Mai. www.kulturhaus-frankfurt.de