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Johannes Martin Kränzle: „Das Spielen ist für mich vielleicht sogar das Zentrum“

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Von: Judith von Sternburg

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Johannes Martin Kränzle im Bühnenbild für den Schönberg- und Frank-Martin-Abend „Warten auf heute“ im Opernhaus. Foto: Christoph Boeckheler
Johannes Martin Kränzle im Bühnenbild für den Schönberg- und Frank-Martin-Abend „Warten auf heute“ im Opernhaus. © christoph boeckheler*

Beckmesser, Danilo und Papageno: Johannes Martin Kränzle über das interessante Leben als Bariton, das Schmieden des eigenen Glücks und Frank Martins „Jedermann“-Monologe in der kommenden Frankfurter Produktion „Warten auf heute“.

Herr Kränzle, wären Sie jemals gerne ein Tenor gewesen?

Eigentlich nie. Das Rollenspektrum des Baritons ist doch viel größer. Figuren wie Papageno, aber auch große Schurken, beste Freunde, der labile, zerrissene Protagonist, da ist schon alles dabei. Ich habe mich nie unwohl gefühlt damit.

Gab es einen Punkt, an dem an eine Tenorkarriere zu denken gewesen wäre?

Tatsächlich habe ich als hoher Bariton angefangen, hier an der Musikhochschule in Frankfurt, und ein amerikanischer Lehrer kam einmal zu mir und sagte: Du, ich mache dich zum Tenor, da kannst du mehr Geld verdienen. Ja, dieses Argument gibt es natürlich. Und bei einem Hochschulabend bin ich einmal eingesprungen, und musste ein paar Takte Parsifal singen, in der Blumenmädchen-Szene. Da habe ich gemerkt: Das geht zwar, aber damit werde ich nicht lange Freude haben. In den letzten Jahren öffnen sich sogar eher im Bassfach ein paar neue Türen. In Zürich habe ich den Don Pasquale gemacht, kein tiefer Bass, ein Spielbass. Es hat mir extrem Freude gemacht und war auch sehr erfolgreich. Es war also sicher gut, der Verlockung damals nicht zu folgen. Der Eindruck kann täuschen: Manche haben ein dunkles Timbre und trotzdem eine hohe Stimme oder eben umgekehrt.

Sie haben früh, aber nicht ganz direkt angefangen.

Ich habe zuerst Regie studiert, in Hamburg. Aber nach einem Jahr war mir klar, dass ich etwas Aktiveres, noch Aktiveres machen wollte. Damals war der Studiengang auch sehr verschult. Aber mein Blick war zunächst auf die Theater-, die Schauspielseite gerichtet. Gesungen habe ich im Chor, aber dass das ein Beruf sein könnte, habe ich damals nicht gesehen.

Wie war es mit der Geige?

Das war auch keine ernsthafte Option, oder höchstens bis 15. Dann war ich zu faul. Und wollte es auch nicht wirklich, würde ich heute sagen.

Kann man es sich als Sänger eher leisten, faul zu sein?

Sagen wir mal so: Einer Stimme kann etwas Ruhe sogar richtig gut tun. Beim Geiger führen ein paar Tage Ruhe bereits zu einem deutlichen technischen Defizit, und er wird das wieder aufholen müssen. Das tägliche Üben ist zwingend. Wenn ich dagegen der Stimme ein paar Tage, vielleicht sogar eine Woche Ruhe lasse, schöpfe ich hinterher eher aus einem größeren Reservoir.

Der Körper selbst als Instrument: Viele empfinden das als sehr strapaziös, Ihr Baritonkollege Christian Gerhaher ist ein Paradebeispiel dafür.

Das ist eine Typenfrage. Gerade mit zunehmendem Alter muss man sicher ein bisschen mehr auf sich aufpassen, zusehen, dass man sich vor großen Auftritten noch einmal hinlegen kann. Aber gerade im Wagner-Bereich kenne ich auch Kollegen, die saufen und feiern und sind dann um 10 Uhr wieder auf der Bühne, als sei nichts gewesen.

Und Sie?

Ich bin da in der Mitte, wie ich beim Singen auch in der Mitte bin. Ich würde niemals ausschließlich Wagner singen, sondern suche immer sehr gezielt nach Gegensätzen. In der Hinsicht habe ich hier übrigens gerade den größten Gegensatz überhaupt, mit der „Lustigen Witwe“ und nun dem Frank Martin. Die liegen wirklich so weit auseinander. Und es ist für schon heikel, dass wegen der ganzen Corona-Umplanungen eine der „Witwen“ nun auf den Samstag gelegt worden ist. Am Freitag die Martin-Generalprobe, am Samstag Léhar, am Sonntag Martin-Premiere.

Ist der Danilo eine schwierige Partie?

Es ist vor allem eine ganz andere Justierung der Stimme erforderlich. Bei der Operette ohnehin, und dazu ist der Danilo fast eine Tenorpartie. Da muss man mit der Stimme ganz fein durch, sonst ist man beim nächsten hohen Ton weg. Im Martin geht alles in die Breite und emotional ins Existenzielle. Das verträgt sich nicht besonders gut miteinander.

Ich vermute trotzdem, dass Ihnen genau diese Kontraste total liegen.

Absolut, aber an einem einzigen Wochenende ist es trotzdem eine Herausforderung.

Sie haben Ihre professionelle Opernsängerkarriere dann mit 25 begonnen, das ist jung für einen Bariton, oder?

Das ist früh, aber ich hatte Glück. An der Hochschule hieß es: Hier können wir dir nicht mehr so viel beibringen, du musst jetzt in der Praxis lernen. Ich kam ans Opernhaus nach Dortmund, wo ich nur kleine Rollen hatte. Die größte war noch der Falke in der „Fledermaus“, glaube ich, also auch nicht wirklich groß. Das war genau richtig. Ich habe den anderen zugeguckt, meine Lehrzeit. Als ich anschließend nach Hannover kam, war ich immerhin Ende 20, hatte nicht mehr den Nimbus des Anfängers, und meine Stimme war stabil genug. Ich konnte direkt die Hauptrollen des lyrischen Fachs singen, den Barbier von Sevilla, die Mozart-Opern.

Ist das Glückssache, dass Sie heute Wagner-Partien wie den Beckmesser singen und trotzdem weiterhin mit Mozart keine Probleme haben?

Zur Person

Johannes Martin Kränzle, 1962 in Augsburg geboren, war von 1998 bis 2016 Ensemblemitglied der Oper Frankfurt. Auch seither ist er regelmäßig in Frankfurt zu hören, derzeit als Graf Danilo in der „Lustigen Witwe“ von Franz Lehár (Inszenierung: Claus Guth, Sebastian Weigle dirigiert), von Sonntag an zudem als Jedermann in den Sechs Monologen aus „Jedermann“ des Schweizers Frank Martin (1890–9074).

„Warten auf heute“ heißt der Vierteiler mit dem Werk Martins zwischen Arnold Schönbergs Einakter „Von heute auf morgen“, seiner „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene“ und seinem Monodram „Die Erwartung“ (mit Camilla Nylund“. David Hermann führt das Ganze in einer Inszenierung zusammen, Alexander Soddy dirigiert das Frankfurter Opern- und Museumsorchester. Premiere ist am 16. Januar, weitere Vorstellungen am 20., 23., 28., 30. Januar, 2., 5. Februar. www.oper-frankfurt.de

Nicht nur, denke ich. Ich sorge ganz bewusst dafür, dass ich zwischendurch wieder einen Liederabend mache, ein Oratorium, eine Mozart-Oper. Von den Agenten oder Theaterleute her käme man ganz schnell in die Richtung einiger großer Rollen, weil da am meisten Geld verdient wird und am besten vorausgeplant werden kann. Dann wären es irgendwann nur noch Beckmesser, Alberichs und so weiter, und zwar fünf Jahre im Voraus. Da versuche ich einen Riegel vorzuschieben. Wenn ich weiß, dass ich in einem Jahr den ganzen „Ring“ mache, will ich nicht noch einen zweiten dazu, sondern eine Operette oder eben Mozart. Und das klappt im Großen und Ganzen, man ist schon auch seines eigenen Glückes Schmied.

Nicht jeder kann sich seine Rollen aussuchen.

Da bin ich in einer komfortablen Situation, das stimmt.

Umgekehrt hat man den Eindruck, dass gerade im Wagner-Fach viele sich gerne auf wenige Partien festlegen.

Wenn man das will und durchhält, ist es ja auch bequem. Man hat die Sachen drauf, muss nichts Neues mehr lernen.

Auf der Bühne gehören Sie zu denen, die sich total in eine Rolle werfen, zugleich wird es meistens ungemütlich.

Diesmal bin ich ein älterer Herr, noch älter, als ich ohnehin schon bin, insofern: Warten Sie mal ab. Aber das Spielen ist für mich immer ganz wichtig gewesen, es ist vielleicht sogar das Zentrum für mich. Ich bin auch immer noch ein großer Schauspiel-Fan. Jetzt ist das mit Corona nicht so einfach, aber normalerweise schaue ich mir sicher ein- bis zweimal in der Woche irgendwo eine Aufführung an.

Schauspielproduktionen?

Oper und auch Schauspiel, und dafür nehme ich gerne Fahrten in Kauf. Es dürfen abseitige Sachen sein, sowohl, was den Ort, als auch, was das Stück betrifft. Selbst Stücke, die misslingen, sind interessant, weil man sehen kann, was schiefgegangen ist, und weil das Scheitern an sich immer spannend ist. Und für mich als Opernsänger gehört das Spielen unbedingt dazu, sonst wäre es eine halbe Sache. Da war ich in Frankfurt natürlich an einer guten Adresse, hier hatte das in den letzten Jahren immer ein großes Gewicht. Ganz selten habe ich hier eine Stehoper erlebt.

Gerade weil die Regie Sie interessiert: Wie fertig ist Ihre Vorstellung von einer Rolle, bevor die Proben losgehen? Wie viel wissen Sie über Ihre Figur?

Ich weiß wahrscheinlich relativ viel, aber ich konzentriere mich vorher auf die Musik und gebe mir viel Mühe mit dem Text. Was die Darstellung und den Charakter der Figur anbelangt, versuche ich, ganz unvoreingenommen zu bleiben und mich völlig auf die Sicht der Regie einzulassen.

Ist das schwierig, wenn Sie eine Rolle wie den Papageno schon zigmal gesungen haben?

Nein, aber vielleicht versucht man, ein paar gute Sachen, die man aus anderen Inszenierungen schon kennt, mit hineinzuretten. Einige bewährte Feinheiten, würde ich sagen, werden bei einer Neuproduktion dann wieder eingesammelt.

Frank Martins Jedermann-Monologe werden aber auch für Sie etwas Neues sein.

In der Klavierfassung bei Liederabenden habe ich sie sogar schon häufiger gesungen, aber mit Orchester ist es auch für mich eine Premiere.

Was erwartet uns?

Es geht um die Monologe der Hauptfigur aus Hofmannsthals „Jedermann“, die Texte sind großartig. Musikalisch findet Martin, der ein sehr gläubiger Mann war, aber aus der calvinistischen Ecke, eine ganz eigene Klangsprache. Mir gefällt besonders, dass die Musik so schlackenlos ist. Martin kommt mir wie ein Vordenker von Messiaen vor. Klangflächen stehen nebeneinander, und es ist geradezu manchmal eine harmonische Insel an diesem Abend, Das Frankfurter Publikum habe ich immer sehr experimentierfreudig erlebt und auch dieser Abend mit ausschließlich Musik des 20. Jahrhunderts wird hier interessiert aufgenommen werden.

Gefällt es Ihnen, die Bühne ganz für sich zu haben?

Es ist eine tolle Herausforderung. Komischerweise mag ich die Arien in Stücken gar nicht so gerne. Vielleicht ist es mir hier lieber, weil von vornherein klar ist, dass ich der einzige bin. Sonst bin ich nämlich sehr gerne ein Ensemblesänger. Mit anderen zusammen auf der Bühne zu spielen und zu singen, das ist wunderbar.

Interview: Judith von Sternburg

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