Janacek-Doppel zur Eröffnung der Maifestspiele in Wiesbaden: Das unerbittliche Rad des Lebens

„Die Sache Makropulos“ und „Aus dem Totenhaus“: Die Wiesbadener Maifestspiele starten mit einem gelungenen Janácek-Doppel.
Ein sich langsam drehender Ventilator beherrscht die Neuinszenierung von Leoš Janácek „Die Sache Makropulos“, mit der die Wiesbadener Maifestspiele eröffnet wurden. Raimund Bauer hat die Bühne des Großen Hauses des Staatstheaters gestaltet und mit der Rotationsmetapher ein treffendes Bild des ewigen und immergleichen Lebensrads geschaffen. Vor ihm trudeln und kreiseln in hyperaktiven Bewegungen lemurenhafte Personen (Choreografie Valenti Rocamora i Tora), dazwischen jene Elina Makropulos alias Ellian Mac Gregor, Elina Marty, Ekatarina Myschkin, Elsa Müller etc. pp.. Jenes 336 Jahre alte Resultat eines alchimistischen Experiments, das Rudolf II. einst zur Sicherstellung ewiger Jugend vom Vater der Hauptfigur verlangte und an dessen Tochter auf seine Wirksamkeit hin prüfen ließ.
Zwischen großen Aktenschränken spielt die kriminalistische und erotische Geschichte – in einem Prozess- und Anwaltsmilieu, bei dessen Jagd nach Erbmasse die wohlerhaltene Operndiva Emilia Marty Irritationen und Begehrlichkeiten auslöst: eine Variante der Lulu in Undurchsichtigkeit , Lakonik und kalter Mattigkeit. Den verworrenen Handlungsfaden vermag die Regie Nicolas Briegers ohne Einsatz von Sonderzeichen und Umdeutungen in einer aufgeräumten, immer plastischen und attraktiven Personenführung sehr gut aufzudröseln. Das lag auch an Sängerdarstellungen, die ohne weitere Applikationen den bizarren Realismus des 1926 uraufgeführten Werks vermitteln konnten. Starke Profile ohne theatralisches Außersichsein hatten die hervorragenden Rollenträger Aaron Cawley, Jirí Sulženko oder auch Darcy Carroll. Allesamt stimmlich hervorragend, was auch für die kleineren Rollen galt. Sehr gut auch die Stimme von Fleuranne Brockway, die der Diva Marty nacheifern möchte. Überragend war Elissa Huber als Titelheldin, die mit ungemeiner Stärke und Beherrschtheit in einer hintergründigen Mischung aus heißkalter Lakonie die stimmliche Dauerbelastung brillant meisterte.
Janáceks hier besonders aktive sonografische und auch zupackende Musik wurde nicht süffig und nicht zu üppig, sondern sprungbereit und brennend von Johannes Klumpp mit dem Staatsorchester zum Ereignis einer hyperdichten Atmosphäre.
Zur Sache
Staatstheater Wiesbaden: als Doppel (15 und 20 Uhr) noch einmal am 14. Mai. „Die Sache Makropulos am 2., 11., 28. Juni, 7. Juli. „Aus einem Totenhaus“ am 10., 23. Juni, 6. Juli.
Die Internationalen Maifestspiele gehen bis zum 31. Mai. www.staatstheater-wiesbaden.de
Zwei Stunden nach der „Sache Makropulos“ folgte Janáceks letzte Oper, „Aus einem Totenhaus“. Den Wiesbadener Maifestspielen gelingt mit diesem Doppel eine Großtat, denn sowohl die Oper des langen Lebens als auch die des langen Sterbens gelten im Gegensatz zu den bukolisch konnotierten Opern „Jenufa“ oder „Katja Kabanová“ als die ungefälligeren Kreationen des tschechischen Komponisten. Der expressionistische Minimalismus seiner Klangwelt mit ihren repetitiven Turbulenzen im Verein mit der Rauheit einer nahezu ausschließlich von Männerstimmen dominierten Szene ist hier auf die Spitze getrieben und hatte in den zahlreichen chorischen und solistischen Beiträgen eine perfekte Basis.
Die zentrale vokale Erscheinung ist der Gefangene Schischkow, dessen Erzählung in der Schlafbaracke über seine unglückliche Liebe mit tödlichem Ausgang den dritten Akt beherrscht. Auch hier war die Rollenbesetzung ein Idealfall, denn Claudio Otelli brachte erstarrte Aggressivität und Betroffensein in einem auf. Die klare und präzise Diktion in durchdringender und doch geschmeidiger Vokalität ohne Enge und Druck war glänzend. Auch alle anderen Partien waren wieder blendend besetzt. Inszenatorisch gab es sinnvolle Klammern: der riesige Propeller sowie die Registratur-Schrankwände, deren Rückseiten jetzt Fotos von Insassen russischer Gefangenenlager zeigten. Das Arbeiten der Insassen an einem den Bühnenhintergrund füllenden Saurierskelett rief die große Echsenskulptur in Martys Schlafzimmer in Erinnerung. Von immer peinlich wirkender Elendsmode bei Bühnengefangenenlagern und sonstigen Gewaltverhältnissen blieb man dank der reduzierten Kostüm-Zeichengebung Andrea Schmitt-Futterers verschont. Beeindruckend auch die Videosequenzen (von Stefano di Buduo), die im Verein mit gleichzeitig sich bewegender Bühnen-Tektonik so etwas wie die temporäre Öffnung der Szenerie bewirkten.
Unverständlich allerdings, warum es die Regie nötig hatte, den von Brieger selber ins Spiel gebrachten Beckett-Kontext mit der erfundenen Erschießung des freigelassenen Gorjantschikow durch die Theaterplatzpatrone zunichte zu machen. Von Janáceks Intention ganz zu schweigen.
