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„Italienische Nacht“ in Stuttgart: Die Republik kann ruhig schlafen

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Die Republikaner: Michael Stiller, Christiane Roßbach, Elmar Roloff, Felix Strobel, Boris Burgstaller.
Die Republikaner: Michael Stiller, Christiane Roßbach, Elmar Roloff, Felix Strobel, Boris Burgstaller. © David Baltzer

Ödön von Horváths „Italienische Nacht“ als Stück zur politischen Stunde und dazu noch in einer äußerst überzeugenden Inszenierung in Stuttgart.

Die Uraufführung war im März 1931 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin. Es wurde gut geklatscht. Direktor Ernst Josef Aufricht war zuvor vom Autor in einem Lokal angesprochen worden, hatte das „Volksstück“ in der darauffolgenden Nacht durchgelesen und am nächsten Morgen sofort einen Vertrag gemacht. Später berichtete er, wie auch „zwei Nazis“, die er eigens zur Premiere eingeladen hatte, „sich nicht provozieren ließen. Sie applaudierten wie die anderen Zuschauer“ (einer von ihnen übrigens der Schriftsteller Arnolt Bronnen).

Angesicht des Textes von Ödön von Horváths „Italienischer Nacht“ kann man sich die Stimmung vorstellen und nicht vorstellen. Die Zuschauer konnten 1931 nicht wissen, was noch kommen würde, obwohl der Text es ihnen ja ins Gesicht schrie (natürlich, wie jeder treffsichere Text, ohne dabei die Stimme zu erheben). Eine Horde Nazis droht den zur gepflegten Unterhaltung gedachten Italienischen Abend des republikanischen Schutzverbandes zu sprengen. Die Hilflosigkeit der Demokraten ist virulent. Die Anständigen schütteln den Kopf, die Dummen labern optimistisch herum, die Zornigen bewaffnen sich. Die, die sich nicht für Politik interessieren, bekommen von alledem kaum etwas mit.

Dass die Demokratie und die Republik 1931 vor Ort so jung sind, macht sie umso angreifbarer, zugleich scheinen die Floskeln und Phrasen des korrupten Stadtrats und Chefs der republikanischen Vereins am Ort (irgendwo in Süddeutschland) zum Zähneklappern vertraut. „Solange ich Vorsitzender dieses Schutzverbandes bin, kann die Republik ruhig schlafen“, sagt er, als er gerade noch einmal davon gekommen ist (also: seine Frau hat sich schützend vor ihn gestellt). „Gute Nacht“, sagt einer seiner Mitstreiter. Es ist spät geworden, es müsste nichts weiter bedeuten.

Die Zuschauer können auch 2019 nicht wissen, was noch kommen wird. Es wird viel gelacht im Stuttgarter Schauspielhaus, wo Calixto Bieito Horváths Stück auf zwei pausenlose Stunden gekürzt, aber in einer kraftvollen Weise eins zu eins zeigt. Das Stück spricht, Bieito lässt es sprechen. Zusammen mit Helen Stichlmeir hat er dafür einen tiefen, nebulösen Bühnenraum vorbereitet, der Saal vom Wirtshaus Lehninger. Biertische und -bänke, die rüstig auf den Boden gedonnert werden können, darüber Glühbirnengirlanden. Ist schön, wenn nachher das Licht angeht. Ist unbehaglich, wenn auf unserer Seite des Saals ebenfalls das Licht angeht, während zum Beispiel Ensemble, Statistenschar und Blechbläser die „Wacht am Rhein“ absingen, zig Strophen, eine stupide, üble Sache, aber man muss höllisch aufpassen, sich die Musik nicht zu merken.

Immer wieder ertönen flotte Märsche der lange unsichtbaren Combo und signalisieren, dass das Theater praktisch umstellt ist wie das Lokal vom Lehninger. Hier drinnen tummeln sich die sozialistisch eingestellten Demokraten, ein paar Kommunisten und versprengte Nazis. Die Kostüme von Sophia Schneider sind dezent historisch, aber – das haben die Stuttgarter klug erkannt – das Historische ist in diesem Fall das Gegenteil einer Erleichterung durch Distanz. Es zwingt dazu, ständig daran zu denken, was danach geschah.

Die Szenen entwickeln sich zwischen den Bierbänken zwanglos wie die Figuren, die immer wieder einmal in der Tiefe des Raums verschwinden .und wieder auftauchen können. Es wird geturtelt, geknutscht, gezankt und gehadert. Es wird getanzt, sowohl lächerlich als auch attraktiv (Einstudierung: Alexandra Mahnke). Menschliche Nähe ist selten, aber möglich, wenn die Münder von Karl und Leni, Peer Oscar Musinowski und Nina Siewert, sich allmählich dann doch treffen. Die Szenen zwischen den beiden, er so verlegen, verwirrt, triebhaft, aber auch motzig, sie so keck und neusachlich, sind darstellerisch kleine Diamanten. Das Ensemble und die hervorragend mitgehenden Statisten wirken überhaupt dermaßen sicher, am Platze und auf Draht, dass die Zeit verfliegt.

Horváths Sinn für dialogisches Geplänkel vermittelt sich ganz unmittelbar, Bieito und die Truppe lassen sich auch auf den in Stuttgart völlig artifiziellen Dialektüberrest ein. Elmar Roloff ist als jovialer, verblödeter und unbelehrbarer Stadtrat eine Figur mit einem leider geradezu schockierend hohen Wiedererkennungswert. Geheimnisvoller seine Frau, Christiane Roßbach. Ein ruhender Pol wie die Schwager & Hausfreunde in Molière-Komödien ist Michael Stiller als kluger, beobachtender Betz, David Müller als wütender junger Martin sein aufbrausendes Gegenstück. Frauen werden hier zwischen den Männerfronten weitgehend beiläufig zermahlen – Paula Skorupa als Martins Freundin Anna, die sich zum Ausspähen mit dem Nazi Erich, Matthias Leja mit Gier und Dumpfheit, einlassen soll, erzählt ihre eigene kleine Tragödie.

Stück und Inszenierung sind durchaus bereit, das Publikum in die Nacht hinaus zu verfolgen. Sowohl politisch als auch beispielhaft dafür, was Theater einfach kann, selbst wenn es nichts geholfen hat und nichts helfen wird.

Schauspiel Stuttgart: 29. September, 2., 3., 21. Oktober. www.schauspielstuttgart.de

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