Im Fritz Rémond Theater geht das Licht aus – Dinge, die man nicht so sicher weiß

Am Sonntag wird im Fritz Rémond Theater zum letzten Mal gespielt. Das wird die Szene in Frankfurt nicht interessanter und zugänglicher machen.
In die private Theaterschatztruhe geschaut und Erinnerungen herausgezogen. An Goldonis „Mirandolina“, Marivaux’ „Spiel von Liebe und Zufall“, Machiavellis „Mandragola“. An den „Raub der Sabinerinnen“ der Brüder von Schönthan und „Die Spanische Fliege“ von Franz Arnold und Ernst Bach, an Arthur Schnitzlers „Liebelei“ und Carl Sternheims „Der Snob“. An Noël Cowards „Blithe Spirit“ und Priestleys „Ein Inspektor kommt“ und, ja, auch an Agatha Christies „Mausefalle“. An Michael Frayns „Kopenhagen“, Urs Widmers „Top Dogs“, Neil LaButes „Maß der Dinge“ und „Fettes Schwein“, „Frau Müller muss weg“ und „Willkommen“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz.
Das ist klassisch, aber das sieht man nicht (mehr) überall. Aber es ist auch nicht rückwärtsgewandter als der Theaterbetrieb insgesamt. Zu Molière und Shakespeare gesellten sich immer Yasmina Reza und Daniel Kehlmann (das war ein Ding, siehe unten). Und auch denen, die später dazukamen, sagen wir: Ende der neunziger Jahre, bot das Fritz Rémond Theater im Frankfurter Zoo ein Kompendium, munter durchmischt mit leichten bis boulevardesken Komödien und dazwischen plötzlich Lillian Groags „Die weiße Rose“, der amerikanische (schonende, dennoch erschütternde) Blick auf die Geschwister Scholl und ihren unprätentiösen Heldenmut.
Das Stammpublikum kam genau dieser Programme wegen, es war, obwohl es Überschneidungen gab, nie identisch mit dem Publikum des Boulevardtheaters Die Komödie. Und der gemeinsame Chef der beiden Häuser, Claus Helmer, trug dem (meistens) Rechnung. Wurde es im Rémond doch eine Saison lang, oder gar zwei, zu leichtgewichtig, meckerten die Sitznachbarinnen. Sie wollten lachen, wer will das nicht, aber sie wollten auch nachdenklich nach Hause gehen. Die Frankfurter Theaterlandschaft, die einen unaufdringlichen Reichtum hat, wird zwar von einigen flächendeckend durchwandert, aber jedes Trüppchen und jede Bühne hat ein eigenes Publikum. Eines davon wird jetzt heimatlos.
Am Sonntag ist die letzte Vorstellung von Andrew Bovells „Dinge, die ich sicher weiß“, 2016 uraufgeführt, ein trauriges, bewegendes, starkes Stück, wie Sie in der FR zur Premiere lesen konnten. Genau so eine Art von Stück, die Helmer immer suchte für dieses, sein zweites Haus – von zehn Stücken, die er lese, sagte er im vergangenen Jahr, seien nur zwei brauchbar. Am Sonntag ist die letzte Vorstellung von „Dinge, die ich sicher weiß“ und zugleich die letzte Vorstellung im Fritz Rémond Theater, nach 76 Jahren. Das ist der Gang der Dinge, sagen die einen, aber der Gang der Dinge ist noch nie gut gewesen.
Oder: nur manchmal. Als Fritz Rémond, Spross einer bekannten Theaterfamilie, selbst Schauspieler, 1902 in Karlsruhe geboren und nach dem Krieg in Frankfurt gelandet, Anfang Januar 1947 das „Kleine Theater im Zoo“ gründete, gab es wenig Konkurrenz und großen Bedarf. Die Idee zur Theatergründung kam von Zoodirektor Bernhard Grzimek persönlich und irgendwie ging es auch, obwohl es an allem mangelte, vom Heizmaterial bis zur Möglichkeit, das Dach abzudichten (das Publikum soll mit aufgespannten Regenschirmen auf den Holzbänkchen gehockt haben).
Rémond, als Schauspieler ein glänzender Komödiant, den man sich noch in alten (schwachen) Filmen anschauen kann, muss eine imposante und zugleich fürchterliche Figur gewesen sein. Er strapazierte die Kollegen und Kolleginnen mit überlangen Proben, bei denen er kein Blatt vor den Mund nahm. Auf Knien, liest man andererseits, habe er einmal den OB um Hilfe angefleht. Denn die Erfolge, aber auch die finanziellen Krisen jagten einander.
Grete Weiser, Heinz Rühmann, Theo Lingen, Martin Held, Curd Jürgens spielten am Haus – das ist auch ein bisschen das Bad-Hersfeld-Phänomen, es war einfach noch nicht so viel zu tun. Dazu gilt Rémond als Entdecker etwa von Boy Gobert und Hans-Joachim Kulenkampff. Aber Mitte der sechziger Jahre kündigte er auch schon einmal die letzte Spielzeit an, bis die Stadt sich in letzter Minute doch noch breitschlagen ließ und finanziell half.
Nach seinem Tod 1976 – „Es gibt keinen mehr wie ihn“, schrieb Günther Rühle, kein Mann von Übertreibungen – ging die Leitung an Vater und Sohn Lothar Baumgarten und (1985) Egon Baumgarten. 1995 war das Finanzloch so groß, dass nur eine Rettungsaktion den Konkurs abwenden konnte. Stadt und Sparkasse einigten sich, der Rémond-Vertraute Claus Helmer von der Komödie wurde als neuer Chef eingesetzt. Mit den Schulden des Hauses nahm er ein erhebliches Risiko auf sich, ist aber – das ist eine Geschichte für sich – nicht nur ein absoluter Theatermacher, sondern auch ein kluger Geschäftsmann. Darum lief es noch einmal 28 Jahre gut. Und darum beendet er es jetzt vielleicht. „Ich würde froh sein, wenn ich einen Claus Helmer als Nachfolger finden würde“, sagte er 2017 zu seinem 70. Geburtstag der FR.
Und was war das für eine Geschichte mit Daniel Kehlmann? Als er sein Stück „Der Mentor“ in deutscher Erstaufführung am Hause sah, soll er ganz unzufrieden gewesen sein und türeknallend das Theater verlassen haben. Die Kritikerin hat den Knall nicht gehört. Auch Kehlmann selbst sagte später, er sei leise gewesen. Aber unzufrieden war er. Sein Stück sei „schrecklich verletzt“ worden (es ging um Kürzungen und Lustigkeiten, die Kehlmann ungeschickt fand, im Programmheft). So gab es selbst am Rémond Theater, das Theater fürs Publikum machen, aber auch Stücke und Darstellerinnen und Darsteller in Szene setzen wollte (die Regie: sachdienlich), gelegentlich eine Spur von Skandal.
Ist ein Konzept wie das des Fritz Rémond Theaters doch gestrig? Es stammt aus fernsehloser Zeit, das hat es mit dem deutschen Stadttheater gemeinsam, das sich daraufhin drastisch weiterentwickelt hat. Auch im Rémond Theater ist die Zeit nicht stehengeblieben, aber das Haus und sein Prinzipal beharrten sanft auf Texten und Rollen und einer vierten Wand und auf Inszenierungen, auf die die Menschen im Saal trotzdem ganz unmittelbar reagierten. Innerhalb einer nach der Corona-Pause wieder hochschwappenden Diskussion über die Zukunft des Theaters an sich hätte dieser Ort unbedingt seinen Platz haben können.
Es ist einem auch noch im Ohr, wie Opernintendant Bernd Loebe bei seiner Spielplan-Pressekonferenz jüngst darauf aufmerksam machte, dass gerade ein junges Publikum konservativ sei. Wer schon alles zehnmal gesehen habe, sei beim elften Mal offen für Neues, während man sich bei der ersten Begegnung offenbar das Klassische wünsche. Der Rémond-Theater-„Menschenfeind“ Anfang des Jahres war sicher perfekt für das erste Mal und beim zigten Mal auch noch knallfrisch. Wieder ist das Wort Lücke keine Floskel. Und die Stadt verzichtet auf etwas, klar, da hängen wir alle immer mit drin.
