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Cornelius Schwalm, hier als Schmetterling.
Cornelius Schwalm, hier als Schmetterling. © Kai Wido Meyer

Thomas Melles etwas geschwätziges Stück „Ännie“ wird in Darmstadt liebevoll ausgestellt.

Ä nnie ist vor zwei Jahren verschwunden und seither zur Projektionsfläche der Liebe und des Hasses, der Angst und der Wünsche ihrer Umgebung geworden. Sie selbst, man kann es nur ahnen, war eine ungebärdige, im Internet nervtötend aktive 16-Jährige. Die Verzweiflung der Hinterbliebenen (oder Verlassenen) verdeckt nur kurze Zeit, dass sie anscheinend auch ein Luder war, mobbend und gemobbt, im Stich gelassen und Menschen im Stich lassend. Sich vorzustellen, dass sie sich dem Dschihad angeschlossen hat – für die Runde, die sich zu Ännies 18. Geburtstag und dem zweiten Jahrestag ihres Verschwindens eingefunden hat, ist das offenbar eine reelle Variante –, fällt gleichwohl schwer.

Autor Thomas Melle macht letztlich kein Hehl daraus, dass „Ännie“, im vergangenen Herbst in Bremen uraufgeführt, reine Theorie ist, nein, ein reiner Haufen von Theorieschnipseln. Es geht um die Gesellschaft heutzutage: Sehnsucht und Traurigkeit, Lebensgier und Verblödung, Betroffenheitsrhetorik und Egoismus, Terrorismus und schlechtes Gewissen. Sex (wer ist Ännies Vater?). Alle quatschen, es wird zitiert, anzitiert und parodiert, neben Pop und Schlager drängelt sich Hochkultur aus einem Mann heraus, der auch werktags Jogginghosen trägt. Manchmal ein Wahnsinns-Geschwätz, meistens einfach nur Geschwätz, wobei den Figuren nicht entgeht, dass mittels Ironie alles gesagt werden kann. Fast am ärgsten ist insofern die bürgerliche liberale Französischlehrerin, die sich für die vernachlässigte Ännie eingesetzt hat. Sie dürfte einem Theaterpublikum zudem bekannter vorkommen als die hier reichlich marode Stammbelegschaft einer Kneipe, die Jan Freese in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt liebevoll ausgestattet hat.

Überhaupt geben sich die Darmstädter unter Maria Viktoria Linkes Regie 90 Minuten lang schon Mühe mit diesem Stück, das seine Überambitioniertheit hinter Nonchalance versteckt und letztlich unbedarft und unverbindlich bleibt. Schauspielerisch wird einiges geboten, Karin Klein ist eine grandiose Romy, Ännies Mutter, sentimental und tragisch. Klein schafft es, unfassbar dumm und zugleich weise zu wirken, mehr Aufwertung kann sich eine solche Figur nicht wünschen.

Um sie herum: Cornelius Schwalm und Jana Zöll als recht sympathische Tunichtguts, abwechslungsreich kostümiert und in Szene gesetzt, was freilich die Dürftigkeit der Textkonstruktion eher unterstreicht. Ute Fiedler und Hubert Schlemmer sind die Bürgerlichen, eine gefährliche, lebenstüchtige Formation. Mathias Znidarec ist der windige Ex-Polizist, auch er überzeugender als sein Text, der aber ja auch gar nicht überzeugen will.

Anabel Möbius ist die junge Kathi. Die Jugend hat hier aber keine Chance. Sie hält bloß als nächste Projektionsfläche her.

Staatstheater Darmstadt: 3., 4. Juni.
www.staatstheater-darmstadt.de

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