„Identitti“ von Mithu Sanyal am Staatstheater Darmstadt: Reden und mitdenken

Aber wer ist wer? Mithu Sanyals „Identitti“ als schillernde Komödie um Identität in Darmstadt.
Dialogwitz und Selbstironie machen auch die Bühnenfassung von Mithu Sanyals erfolgreichem Roman „Identitti“ zu einem Vergnügen bei ernster Sachlage. Die Autorin hat sie selbst geschrieben, niemand stand ihr also im Weg, man merkt es am Schwung und am Mumm zur Auslassung und Neugewichtung – etwa in der Rolle der Göttin Kali, der Marielle Layher eine den Abend in Darmstadt prägende Souveränität und Lässigkeit gibt.
In den Kammerspielen des Staatstheaters ist die im vergangenen November am Düsseldorfer Schauspielhaus zuerst aufgeführte Adaption in einer Inszenierung von Salome Dastmalchi zu sehen (mit Mithu Sanyal im Premierenpublikum). Dastmalchi setzt nicht auf grelle Effekte. Das hängt auch mit der Ausstattung von Paula Wellmann und Ariella Karatolou zusammen, die ihr eigenes kluges Spiel mit der zentralen Identitätsfrage treiben. Das fünfköpfige Ensemble trägt Einheitsblau, eine Uniform, die keinerlei Rückschlüsse erlaubt. Darüber hinaus lässt Dastmalchi auf den Publikumserwartungen herumtanzen. Die Mitspielenden stellen sich kurz vor – die Besetzung ist divers, aber nicht entsprechend naheliegender Identitäten besetzt. Leonard Burkhardt spielt nicht nur den Freund der Hauptfigur Nivedita, sondern auch (unverändert) ihre beste Freundin Priti. Man wird ihn tatsächlich vor allem als Priti in Erinnerung behalten. Naffie Janha, Nivedita, hat keine indischen Wurzeln. Jeder, sagt sie, sollte jede Rolle spielen können, aber so sei es am Theater leider noch nicht. In einer Art doppelten Utopie liefert die „Identitti“-Inszenierung den Gegenentwurf, setzt ein vielfältiges Ensemble vielfältig ein.
Es gibt immer Argumente
Man hätte das noch weiter treiben können, aber Übertreibungen sind Dastmalchis Vorgehen fremd. Stattdessen entwickelt sich ein vom Schieben der abstrakten, vielleicht leicht indisierenden Kulissenteile unterbrochener Durchgang durch die rasante Handlung. Anna Böger ist smart und kühl die beinharte Postcolonial-Studies-Professorin Saraswati, die das Vorbild der jungen Nivedita ist, aber von ihrem zornigen, nichtweißen Bruder, Patrick Khatami, als unindische Sarah Vera Thielmann entlarvt wird. Kluge Argumente purzeln aber weiter aus ihr heraus, „Identitti“ erzählt auch davon, wie einem das Wort im Munde herumgedreht werden kann. Wie man es selbst herumdrehen kann. Und das gelegentlich tun sollte.
Gerade im nicht überspannten Spiel, mit einer glaubhaft verblüfften, staunenden Nivedita in der Mitte, wird das umso begreiflicher und interessanter. Ernsthaft schillernder Stoff auch für Schulklassen, hoffentlich.
Staatstheater Darmstadt, Kammerspiele: 9., 29. April, 6., 13., 14., 28. Mai, www.staatstheater-darmstadt.de