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Wie man die Nazis hätte zum Teufel schicken können

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Höfgen, Christoph Pütthoff, will auch ein bedeutender Hamlet sein, aber schon allein der Totenkopf ist viel zu groß für ihn. © Arno Declair

Das Schauspiel Frankfurt zeigt Else Lasker-Schülers „Ichundich“ und Klaus Manns „Mephisto“ – und verliert sich zweimal in Ausstattungsideen und Unverbindlichkeit.

Mit einem dramaturgisch eindrucksvollen, in der Umsetzung aber gerade deshalb dann irritierend vertändelten Premierendoppel leitete das Schauspiel Frankfurt am Wochenende über zum „Spielzeit-Schwerpunkt Antisemitismus und Rassismus“. Klaus Manns berühmter Roman „Mephisto“ (1936) und Else Lasker-Schülers im palästinensischen Exil chancenloses Theaterstück „Ichundich“ (1940/41) sind zwei ganz unterschiedliche Auseinandersetzungen mit den jeweils auch auftretenden Nationalsozialisten, die in diesen Jahren das bis dahin gerne so genannte Land der Dichter und Denker unter dem Beifall der Bevölkerung in jeder Hinsicht ruinierten – sowie mit Goethes „Faust“ als Sinnbild dieser einstigen Kulturnation.

Vertraut ist Manns Figur des an Gustav Gründgens angelehnten Schauspielers Hendrik Höfgen, bis heute der beliebteste Mephisto-Typus weit und breit. Höfgen – dessen Vorbild Klaus Manns ehemaliger Schwager, der Ex-Mann seiner Schwester Erika war – dient sich dem grauenhaft jovialen Ministerpräsidenten (Göring) an. Unvertraut ist Lasker-Schülers Höllentour, die darauf hinausläuft, dass Faust, Mephisto und die nachher gleich mit Goebbels kokettierende Marthe Schwertlein, alle gemeinsam in der Hölle, eine skurrile, aber auch zivile Combo darstellen. Die hier nach und nach auftauchenden Nazigrößen, darunter Hitler, Göring, Goebbels, Ribbentrop, von Schirach werden sie schließlich zur allgemeinen Erleichterung noch eine Etage tiefer nach unten schicken. Nur der Teufel kann mit ihnen fertig werden, gut dass es ihn gibt. „Ichundich“, zwei Seelen, ach, befinden sich in der Brust der auch selbst auftretenden Autorin, und manchmal muss die böse das Zepter übernehmen.

In den Kammerspielen ist Friederike Ott diese scheinbar so heiter mitredende, kommentierende Dichterin, allerliebst als Prinz von Theben ausstaffiert und entsprechend im Ganzkörperprofil in die Blockflöte trillernd. Viel anfangen kann die österreichische Regisseurin Christina Tscharyiski bei ihrem Frankfurt-Debüt mit der von Lasker-Schüler gewitzt eingesetzten, hier noch mal zusätzlich gepäppelten Theater-im-Theater-Ebene. Vor Ott haben sich die Kritiker (darunter Wolfgang Vogler als auch realer Mr. Swet von „Ha’aretz“) und Zuschauerinnen im hygieneregelkonformen Abstand niedergelassen. Die Kritiker haben gleich so ihre Ansichten. Das Publikum hüstelt und tuschelt. Alles wie im echten Leben.

Auch eine Regisseurin (Fenna Benetz) gibt es, die kurzerhand den Mephisto austauschen wird, als der mault: vom Gentleman-Teufel Florian Mania zur gehörnten Diva Tanja Merlin Graf, wie überhaupt bald einiges auf einen Kostümreigen hinausläuft (Ausstatterin im Theater auf der Bühne: Nina Plagens, Ausstattung: Verena Dengler und Dominique Wiesbauer). Schon die Bühne hinter dem roten Theatervorhang legt das nahe: eine attraktive, mit expressionistischen Versatzstücken versehene Wüstenei, in deren Zentrum ein freigestelltes Bild von Else Lasker-Schülers Dichterinnenkopf steht. Ott kann ihr (sich selbst) durchs Auge sehen.


Die Dichterin, Friederike Ott, betrachtet die Welt durch ihr eigenes Auge.
Die Dichterin, Friederike Ott, betrachtet die Welt durch ihr eigenes Auge. © Robert Schittko

Das sind Schauwerte, das ist auch unterhaltsam, aber je länger es geht (75 Minuten), desto mehr zeigt sich die existenzielle Mitte dieses als Tragödie deklarierten Textes nicht. Das klassische Trio, zu Mephisto kommen Matthias Redlhammer als etwas gusseiserner Faust, und Heidi Ecks als Marthe in Fantasiefolklore und in reizender, staunender Heidi-Ecks-Manier, bekommt inhaltlich wenig Kontur. Vor allem aber sind nachher die Nazis (Uwe Zerwer, John Sander, Anna Bardavelidze) eine Schar überkostümierter vollgekritzelter Denkmäler. Die Verweigerung, Hitler so ohne weiteres auf die Bühne zu stellen, ist nachvollziehbar. Wie die Dinge nun liegen, ist die Höllenfahrt dadurch aber nicht sehr bedeutungsvoll.

Am ehesten trägt Ott den Abend, die uns zuzwinkert und das Spiel in melancholischer Stimmung und ohne Zynismus endet, „ich freu mich so, ich freu mich so: Gott ist da!!“, summt die Dichterin vor sich hin, deren Werk aber soeben nett zurechtgemacht, nicht ausgelotet wurde.

Im Schauspielhaus ist einen Abend später Christoph Pütthoff ein idealtypischer, die Erinnerung an den Film-Höfgen Klaus Maria Brandauer (1981) schon optisch gleich noch miteinbeziehender Titelheld. Agil und wuschig, klein, pompös und um Fassung ringend zeigt er die Scham des Kleinbürgers, die Wendigkeit des Mitläufers, wohingegen die einzige Talentprobe zumindest ambivalent ausfällt. Claudia Bauers Inszenierung ist mehr damit befasst, das Wurmhafte (Thomas Mann sprach wenigstens von einem Glühwürmchen) zu dokumentieren.

Auch hier dominiert ein aufgerüschter roter Theatervorhang. Dahinter lässt Andreas Auerbach zunächst die „Bühne“ erwarten, als sich die Scheibe dreht, wird aber nur ein großes, von der Inszenierung merkwürdigerweise kaum genutztes Gerüst sichtbar. Die meisten Szenen spielen ohnehin „hinter den Kulissen“. Auch Bauer und das Ensemble zeigen viel Freude bei den Theater-Szenen, die Eifersüchteleien, der Neid, die Panik, die Unsicherheit, der Pragmatismus – wunderbar vertreten durch Katharina Linder als nur ein bisschen ausgebrannte Intendantin. Eher formal wird das Treiben garniert durch die politischen Verschärfungen vor 1933 mit Fridolin Sandmeyer als Nazi-Memme und Andreas Vögler als immer mal wieder nach dem revolutionären Theater rufender Kommunist. Zusammen mit Paula Hans und Anna Kubin, Sebastian Kuschmann, Mark Tumba (als Höfgens Domina) und Melanie Straub (als wunderliche Erika Mann und Schauspielerin, der der Regisseur zu Recht zuruft, sie solle gefälligst mal etwas aasiger sein) sausen sie von Rolle zu Rolle.

Denn in den fast zweieinhalb Stunden – da müsste ohne Pause schon eine Menge Zug dahinter sein – hangelt sich das Geschehen von einer bunten Szene zur nächsten. Die erste ist vielversprechend, der Geburtstag des Ministerpräsidenten wird vom Ensemble als gut dosierte szenische Lesung dargeboten. Die kuriosen Abend-Jogginganzüge sind eine Art Basisbekleidung, wie sich zeigt (Kostüme: Vanessa Rust).

Dann aber vereinzeln sich Geschehen und Leistung in eine revuehafte Abfolge in aufwendigen Kostümen und Musik (Peer Baierlein). Nur um Höfgens Verunsicherung der Hamlet-Rolle gegenüber zu demonstrieren, kommt gegen Ende noch ein riesiger goldener Totenkopf heruntergefahren. Der zu kleine Kletterer wird immer wieder an ihm abrutschen, ohne dass dem Publikum zu diesem Zeitpunkt recht klar geworden sein dürfte, weshalb es sich für dieses Höfgen-Problem interessieren soll.

Denn, seltsame Koinzidenz: Auch „Mephisto“ läuft nicht nur auf eine Maskerade hinaus. Er scheitert dazu ebenso – und angesichts der geradlinigen Vorlage noch bitterer – an einer unerklärlichen Unverbindlichkeit und Ziellosigkeit. Dass das Ehepaar Göring – hinter gesichtslosen Masken und grell stimmverändert – zur nackten Karikatur wird, passt dazu. Dass der zusammengehauene, gefolterte Kommunist schließlich als eine Art Caliban auf die Bühne wankt, führt eine ungute Theaterroutine vor. Mag sein, dass es um den Alptraum des Hendrik Höfgen gehen soll, aber „Mephisto“ erzählt ja gerade nicht von einer Theaterfantasie, sondern von unangenehm realen, allzu menschlichen Menschen.

Da die Welt sich immer weiterdreht, machten Bühnenbeschäftigte am Freitagabend vor Schauspiel und Oper darauf aufmerksam, dass sie gerne ein rasches und nicht zu unbefriedigendes Tarifergebnis hätten. Kein Streik, nur ein Hinweis darauf, dass es auch die städtischen Theater betrifft, wenn die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst nicht vorankommt.

Schauspiel Frankfurt: „Mephisto“ im Schauspielhaus am 8., 17., 18., 24., 28., 29. Oktober. „Ichundich“ in den Kammerspielen am 10., 18., 22., 23. Oktober. Am Sonntag war alles ausverkauft, es lohnt sich erfahrungsgemäß aber, online gelegentlich zu schauen. Der Vorverkauf für den November startet am 9. Oktober. www.schauspielfrankfurt.de

Zum Spielzeit-Schwerpunkt Antisemitismus / Rassismus gehört die Beteiligung des Schauspiels am Textland-Literaturfestival am 23./24. Oktober (mehr dazu auf der Seite www.textland-online.de). Am 24. Januar sprechen Michel Friedman und Ferdos Forudastan miteinander unter dem Titel „Judenhass ist Menschenhass“.

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