„Hiob“ am Schauspiel Frankfurt: Es ist, wie es ist, und dann ist es vorbei

Joseph Roths „Hiob“ als intensiver Ensemble-Abend am Schauspiel Frankfurt.
Es sind noch einige Plätze frei. Man sieht es, und die Deutsche Presse-Agentur hat sich nach dem Twitter-Notruf #publikumsschwund von Regisseur Christopher Rüping vor ein paar Tagen auch gleich einmal etwas weiträumiger umgehört: Etliche Premieren an deutschen Sprechtheaterbühnen sind demnach gegenwärtig und trotz der (weitgehenden) Rückkehr zur alten Saalbelegung keineswegs so gut besucht, wie die Theater es vor der Pandemie gewohnt waren. Was tun?
Das Schauspiel Frankfurt, zuletzt von krankheitsbedingten Vorstellungsabsagen geplagt, ist wie fast alle anderen mit seinem Spielplan insgesamt durcheinander geraten. Diesmal aber fügt es sich. „Hiob“ hätte schon vor einem Jahr Premiere haben sollen. Jetzt ist die Inszenierung von Johanna Wehner eine schlichte und ergreifende Einladung, sich dem Theater wieder zuzuwenden, wie sich das Theater seinem Publikum zuwenden möchte, indem es das tut, was es am besten kann. Eine Geschichte erzählen. Das Publikum in eine Geschichte verwickeln, in bewegtem Bild und lebendigem Ton. Mit leichter Hand, aber gut vorbereitet. Verspielt, aber durchdacht.
„Hiob“ rührt an das Wesentliche des Lebens und des Theaters, und es ist auch ostentativ ein Neustart, wenn das Ensemble am Anfang freundlich und vergnügt in den Saal winkt, die Bühne des Schauspielhauses bevölkert und die vierte Wand immer wieder einmal mit dem Zeigefinger durchbohrt und uns eine Frage stellt. Das ist ein wenig läppisch, aber auch ein sinnfälliger Zeitpunkt für eine Kontaktaufnahme.
„Hiob“ basiert in einer Bühnenfassung von Wehner auf dem Roman Joseph Roths, so dass an diesem Wochenende (s. den Text rechts) gleich zwei Romanadaptionen das Geschehen am Schauspiel bestimmten. Der selbst in Galizien geborene Roth erzählt – und das kann er bei Erscheinen des Buches 1930 noch nicht wissen – von der wenige Jahre später vernichteten Welt des Ostjudentums. Sein Hiob ist der Lehrer Mendel Singer, der mit seiner Familie im Russischen Reich lebt, später gehört die Gegend zu Polen, heute zur Ukraine. Gottesfurcht und Bescheidenheit behüten ihn nicht vor Unglück, aber die Dinge sind in einer Art von Gleichgewicht, bis das Unglück überhand nimmt. Der jüngste Sohn ist Epileptiker und muss zurückbleiben, als die Familie zum desertierten und in den USA erfolgreichen älteren Sohn zieht. Mit dem Ersten Weltkrieg rückt die Hoffnung auf Wiedervereinigung in weite Ferne, es kommt jetzt Schlag auf Schlag – in der Bühnenverkürzung erst recht –, und Mendel Singer bleibt wie Hiob allein zurück, bis Joseph Roth zu einem zarten Ende findet. Einem dazu sehnsuchtsvollen, begegnete doch das Leben auch dem Schriftsteller mit wenig Milde.
Die Bühne finster, das Singer’sche Haus hat Volker Hintermeier als stilisierten Holzverschlag gebaut, der nach der Pause in New York noch genauso aussehen wird, nur dass im Hintergrund nun die Fackel der Freiheitsstatue als Bühnenskulptur zu sehen ist. Ellen Hofmanns Kostüme sind jetzt etwas heller, vor allem für die Frauen. Amerika, das ist schon etwas anderes. Mendel Singer aber kommt es hier insgesamt nicht sehr anders vor. Juden, wohin er schaut.
So sehr der Text unter den Kürzungen leiden muss, so kursorisch etwa das Schicksal der Singer-Kinder erzählt wird, so intensiv und konzentriert ist das doch. Der Roman- wird nicht zum Dialogtext, deklamierend reichen die drei Schauspielerinnen und vier Schauspieler ihn durch ihre Reihen. Unaufdringlich schälen sich die Figuren heraus. Ein gemeinsames Erzählen, Rekonstruieren, Erleben, virtuos das Spiel (wenn etwa Christoph Pütthoff in 30 Sekunden die Wunder der Moderne verlebendigt).
Erst allmählich wird so aus Matthias Redlhammer tatsächlich Mendel Singer selbst, ein auch im Staunen noch lakonischer Mann. Heidi Ecks wird zu seiner Frau Deborah, und wie sich die Eheleute beiläufig und unwiderruflich fremd werden, ist gerade eines dieser Dramen des Lebens, bei denen einem niemand hilft. Eine Körperlosigkeit liegt ohnehin über allem, vielleicht eine Corona-Proben-Folge, aber mit einem in der fast tänzerischen Bewegungssprache bezaubernd geisterhaften Effekt. Agnes Kammerer und Caroline Dietrich werden gemeinsam zur Tochter Mirjam, ein wunderliches Zwillingspaar, so lebensfroh wie fragil. Nils Kreutinger, Pütthoff und Stefan Graf sind flexibel die Söhne Schemarjah, Jonas und (der kranke) Menuchim. Aber auch Kavaliere am Straßenrand. Wenig braucht ein Schauspieler, um dreist, dumm und gleich wieder ernst zu sein.
Die großen Momente von Freude (selten) und von Leid (häufig), von Schrecken und Erkenntnis bringt das Ensemble wie in gemeinsamen Aufwallungen auf den Punkt. Wehners Genauigkeit zahlt sich hier aus. Es geht um Verzweiflung, es geht praktisch nie um Aggression, sehr analog zum Roman, sehr ungewöhnlich im Theater, das seine immensen Energien unlärmig zur Geltung bringt. Die allgegenwärtige Musik von Daniel Kahn und Christian Dawid: eine in die Moderne übersetzte jüdische Folklore. Erst erscheint sie wie ein Klischee, sie gewinnt aber mit der Zeit, auch an Eigenständigkeit.
So wenig erwartet Mendel Singer vom Leben, dass die immer wieder auch in Richtung Publikum gestellte Frage, was das denn sei, das Leben, was man erwarte und erhoffe von ihm, kurios deplatziert erscheint. Es sind klassische „Hiob“-Fragen, aber angesichts des Hineingeworfenseins in ein Schicksal beantworten sie sich doch dort von selbst. Das Publikum ruft nach und nach Antworten zurück, Freiheit, Frieden und so. Vielleicht geht es jetzt wirklich vor allem darum, wieder ins Gespräch zu kommen.
Schauspiel Frankfurt: 15., 21., 25., 26., 30. Mai, 2., 4., 11., 12., 20., 24. Juni. www.schauspielfrankfurt.de