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Die große Verabredung

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Sebastian Reiß als glückloser Hypnotiseur.
Sebastian Reiß als glückloser Hypnotiseur. © Robert Schittko/FR-Montage

Tim Crouchs liebevolle Theaterdekonstruktion "An Oak Tree".

Der unvorbereitete Schauspieler, die unvorbereitete Schauspielerin: Das verbindet den Reiz des Ad-hoc mit Virtuosität und führt die darstellende Kunst auf den Kern des Spielens zurück. Ein Mensch, dem nichts zur Verfügung steht als sein Körper, seine Mimik und seine Stimme, die Beweglichkeit des Körpers, das Spektakel, das noch in der minimalistischsten Mimik liegt, der Ausdruck der Stimme. 

Der Text wird ihm vorgegeben, das gehört zu seinem Beruf. Anders als wir hat er aber gelernt, daraus etwas zu machen, weiß wie er dabei aussieht, hat sich überprüft, dazugelernt, dieses probiert und jenes. Jetzt steht er, jetzt steht sie da und wartet ab. Eine Schauspielerin, die dasteht und abwartet. Sie weiß nicht, was kommt (so steht es jedenfalls im Text), aber sie wird damit umgehen können. Sie ist Schauspielerin. Sie steht da und zeigt ein Gefäß, in das man – der Schauspieler Sebastian Reiß – jetzt einen Text hineinfüllen kann. Sie wählt eine reizvolle Haltung zwischen Lethargie, unverbindlicher Freundlichkeit und latenter Angriffslust. Weil sie Schauspielerin ist, muss sie dafür nichts Offensichtliches tun. Als Reiß ihr erklärt, dass sie ein 1,85 Meter großer Mann ist, wirft sie einen Das-kann-ich-jetzt-auch-nicht-ändern-Blick in den Raum. Es ist klar, dass Heidi Ecks den Abend prägen wird. Aber nur diesen einen, 9. November 2018, Schauspiel Frankfurt.

„An Oak Tree“, ein 2005 uraufgeführtes Stück des britischen Theatermachers Tim Crouch, verwickelt zwei Figuren auf mehreren Ebenen ineinander. Ein dunkel grundiertes, sehr britisch wirkendes, nämlich auch erzählerisch in die Vollen gehendes, sorgsam gebautes Spiel. Ein Schauspieler (Reiß) kennt den Text, eine zweite Person (Ecks) kann jeweils nur einmal mitspielen. Etwas kompliziert flüstert der Schauspieler, der Bescheid weiß, der Kollegin oder dem Kollegen Text und Anweisungen zu, manchmal wird abgelesen. Das ist maximal durchgeplant, andererseits ist die zweite Person eine dolle Leerstelle, denn – Heidi Ecks macht es vor – was ist ein Text ohne die Person, die ihn ausspricht? 

Ein Mann (Reiß) hat ein Kind totgefahren, er konnte nichts dafür, aber er kommt auch nicht zurecht damit. Früher, sagt er, war er ein fitter und fideler Hypnotiseur, jetzt will ihm nichts mehr gelingen. Der Vater (Heidi Ecks) kommt erst recht nicht mehr zurecht. Er verbringt Stunden an der Straße, an der es passiert ist und an der die titelgebende Eiche steht. 

Im Hier und Jetzt befinden wir uns in einer Hypnoseshow, bekommen aber zugerufen, uns auf keinen Fall als Freiwillige zu melden (nicht dass wir im Traum daran gedacht hätten). Reiß ist der „Hypnotiseur“, Ecks tritt aus Reihe 2 auf die Bühne und lässt sich halbwegs hypnotisieren. Der Hypnotiseur nutzt die Gelegenheit, um seine Schuld – nein, er ist ja nicht Schuld, aber das Kind ist tot, und er war’s – an die hypnotisierte Person weiterzugeben. 

Den „Vater“ erkennt er erst, als sie sich auf seine Anweisung hin zu erkennen gibt. Reiß, der das spielt, eher: „spielt“, spielt es sehr gut, eine Tragödie, die aus dem Hintergrund hervorglüht, wo er zwischendurch ruhelos herumläuft. Ein ruiniertes Leben.

Und noch weiter gehen in Frankfurt die Verschlingungen, indem Crouch bei der deutschsprachigen Erstaufführung Regie führte, während er sonst selbst der Hypnotiseur ist. Also bereitete er Reiß darauf vor, Tim Crouch zu spielen. „So langsam gelingt es mir aber, zusammen mit Sebastian dahin zu gehen, wo er hingehen will“, sagt er im Probeninterview im Programmleporello. 

„An Oak Tree“ legt sympathisch offenherzig das Skelett bloß, über das sich nachher das Dekor einer Theateraufführung legt, hier minimalistisch in einem von Loriana Casagrande nach Plan eingerichteten Bühnenbild, mit weitgehend vorgegebener Musik, mit einem Kostüm von Anna Sünkel, das so aussieht, wie das Kostüm, das Tim Crouch immer trägt. Die hinzutretende Person trägt, was sie tragen will (so steht es jedenfalls im Text). Ein Skelett ist das also, an dem sich demonstrieren lässt, wie Spiel und Spieler Verabredungen zwischen Theaterbetrieb und Publikum sind, wie wie Echtheit auf der Bühne ein schönes, schillerndes Konstrukt ist. Natürlich spielt Heidi Ecks eine Schauspielerin, die Heidi heißt. Aber auch Künstlichkeit ist ein Konstrukt. Hier ist sie ja, Heidi Ecks, wie sie leibt und lebt.

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