Die Kamera nimmt nur Gesicht und Oberkörper auf, aber man sieht die Hände ihrer Lieben, die auf ihren Schultern liegen. Am Arm muss etwas gemacht werden, es scheint recht schnell zu gehen, alles gut vorbereitet. Johanna B. wartet ab und sagt auf Flämisch (jetzt hört man auch ihre Stimme): „Es ist nichts Unangenehmes daran.“ Das ist der letzte vollständige Satz ihres Lebens. Klingt sie eine Spur überrascht? Sehr selten sieht man genau den Moment, in dem ein Mensch stirbt. Es ist ein beeindruckender Vorgang. In einer Welt, die auf ihre fluide Beschaffenheit Wert legt, ist es auch die letzte Grenze von absoluter Sicherheit. Selbst wenn für einige Sekunden ungewiss erscheint, ob Johanna B. bereits tot ist, weiß man es dann. Sieht es, spürt es selbst auf der Leinwand. Gravierender noch wirkt, dass man nie mit Johanna B. über diesen Abend wird sprechen können.
„Grief & Beauty“, Trauer und Schönheit, heißt das neue Stück von Milo Rau und des NT Gent, das im Frankfurter Mousonturm nun erstmals im deutschsprachigen Raum gastiert. Stille 90 Minuten, ohne Prätention, ohne Spiel, ohne aufdringliche Dramaturgie. Keiner leugnet, dass das allein wegen Johanna B. ein großer Abend ist, ihr Abend.
Die Bühne (Ausstattung: Barbara Vandendriessche) zeigt eine denkbare Wohnung, die Wohnung eines kranken Menschen. Entsprechend das Bett, die Ausstattung der Dusche, die Küche, die kein privater Raum ist. Die Küche eines Menschen, der Hilfe braucht, verwandelt sich in einen Taubenschlag, einen Ort, an dem mancher rasch etwas abstellt. Nicht gemütlich, aber praktisch.
Später erfahren wir, dass nicht nur die Uhr aus Johanna B.s Haushalt kommt. Sie hat dem Ensemble auch andere Kleinigkeiten überlassen: die Theaterbühne als temporäre Heimstatt für besitzerlos gewordene Gegenstände.
Von vier Stühlen am Rand aus schalten sich Arne De Tremerie, Anne Deylgat, Princess Isatu Hassan Bangura und Staf Smans nach und nach dazu. Erzählen von sich, von Leben und Tod. Skizzieren das Älterwerden, indem Smans in einem Atemzug vom Plaudern zum Stammeln übergeht, vom Zart- zum Hinfälligsein.
Clémence Clarysse spielt Cello dazu, beharrlich Purcell-Didos „Remember me“. Die Erinnerungen, über die die vier sprechen, sind ergreifend, lustig, disparat. Weder das Leben noch das Sterben muss hier nachgestellt werden, beides ist echt und ist das was alle Menschen verbindet. Eine Schicksalsgemeinschaft, die das andauernd vergisst, als beträfe das Schicksal nur die anderen.
Mousonturm Frankfurt: 26./27. Februar. www.mousonturm.de