„Gift“ in Darmstadt: Sie konnten nicht anders
Lot Vekemans’ „Gift“ im Staatstheater Darmstadt erzählt von der Schwierigkeit, nach einem gemeinsamen Verlust füreinander da zu sein.
Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, sagt sie am Anfang. Er: „Ich auch nicht.“ Nach mehr als zehn Jahren treffen sich die beiden an dem Ort, an dem ihr gemeinsamer Sohn begraben ist, der durch einen Unfall ums Leben kam. Nachdem man im Boden des Friedhofs Gift gefunden hat, muss sein Grab umgebettet werden. Das Stück „Gift. Eine Ehegeschichte“ der niederländischen Dramatikerin Lot Vekemans, das jetzt unter der Regie von Christoph Mehler in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt zu sehen ist, spielt über 65 Minuten in einem einzigen Raum.
Das Bühnenbild (Bühne und Kostüm: Jennifer Hörr) besteht nur aus vier großen Holzrahmen, die mit schwarzem Plastik ausgekleidet sind. Fenster? Gräber? Die nackten Steinwände dahinter wirken jedenfalls düster genug.
Dafür, dass sie am Anfang nicht wussten, was sie sagen sollen, sprechen die beiden dann aber sehr viel, während sie auf den Friedhofsverwalter warten,
„Hast du schon einmal darüber nachgedacht, was wir machen?“ fragt sie ihn in Bezug auf das Grab. Es schwingt mit: „Sicher hat er noch nie darüber nachgedacht, schließlich hat er mich verlassen.“
Sie sind sehr unterschiedlich mit der Trauer umgegangen. Während sie, Gabriele Drechsel, sich am Schmerz festhält und wenig an ihrem Leben verändert hat, hat er, Jörg Zirnstein, versucht, in Frankreich ein neues Leben zu beginnen, nachdem er ohne ein Wort der Erklärung die gemeinsame Wohnung verlassen hatte.
Ihre Kleidung spiegelt das wider. Sie wirkt im langen dunklen Mantel und grauem Pullover konservativ, er ist mit seinem gelben Pullover und blauer Jacke viel lebhafter.
Der Dialog fließt nicht, sondern stockt immer wieder und rennt gegen Mauern, endet in Verletzungen und Eifersucht. Manchmal wird er auch unterbrochen davon, dass einer der beiden wütend zu einem Klangteppich mit bedrückenden Basstönen (David Rimsky-Korsakow) in den Regen hinausstürmt.
Die Inszenierung, die immer mindestens einen der beiden in der ersten Reihe des Zuschauerraums nach vorne schauend sitzen lässt, unterstreicht das Nebeneinander. Und sogar, wenn ausnahmsweise gelacht wird, entzweit das die beiden. Als „er“ offenbart, wie er mit der Trauer klarkommt, lacht das Publikum gemeinsam mit ihr (ihn aus?).
Trotzdem nähern sich die beiden mit der Zeit an, finden eine gemeinsame Erzählung. Als er sagt:„Wir haben erst unser Kind, dann uns selbst, dann einander verloren“, nennt sie das eine „klare und knappe Zusammenfassung von uns“.
Es ist schmerzhaft, Gabriele Drechsel dabei zuzuschauen, wie ihre Figur, mit den Händen entweder in Hosen- oder Manteltaschen, die Spirale aus Trauer, Verletztheit und Selbstbeschuldigungen nicht verlassen kann. Einzig ihre frühere Liebe, die wohl in den wenigen vertrauten Momenten anklingen soll, etwa als er auf ihre Vorliebe für Schokolade anspielt, nimmt man beiden nicht ab.
„Gift. Eine Ehegeschichte“ macht trotz des schweren Themas nicht hoffnungslos. Am Ende klingt seine Stimme weicher, ihre weniger bitter. Für beide war das Gespräch ein Schritt auf dem Weg zur Heilung. Trotzdem endet „Gift“ nicht mit der Versöhnung, sondern mit einem Anruf beim Friedhofsverwalter.
Staatstheater Darmstadt: 17., 29. Oktober
www.staatstheater-darmstadt.de