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„Gespräch im Hause Stein“ in der Volksbühne: Der verschwundene Goethe, der Lump

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Von: Marcus Hladek

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Eine furiose Charlotte, während der Gatte, nun ja, ein wenig leblos ist.
Eine furiose Charlotte, während der Gatte, nun ja, ein wenig leblos ist. © Andreas Malkmus

Die Volksbühne zeigt Peter Hacks’ „Gespräch im Hause Stein“.

Produziert vom Wiesbadener Kulturverein „Brentanos Erben“, gespielt von Susanne Schäfer als Charlotte von Stein im Frankfurt-Debüt Hannes Hametners (Regie), empfiehlt sich „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ als Gruß an den Nachbarn Goethe und zugleich ans Romantik-Museum. Da sowohl Goethe als auch Hacks der Romantik zwiespältig bis feindselig begegneten, ließe sich da schon einhaken, aber gemach. Was zeigt uns die Bühne von Anne Habermann?

Eine strenge Symmetrie klassischer Prägung beherrscht sie und wartet nicht die vollen hundert Minuten mit Pause, aber doch lange genug darauf, aufgebrochen zu werden. Im Zentrum, dann immer wieder ans Publikum gewandt: Charlotte von Stein, deren Kostüm (Erika Landertinger) dem Zeitpunkt der Handlung entspricht.

1786 floh Goethe vor der Last seiner Pflichten in Weimar gen Italien. Als bekennender Klassizist wählte Peter Hacks präzise den perfekten Zeitpunkt oder „kairos“ für sein Stück aus: Goethe ist fort, über Nacht verschwunden, noch weiß niemand Genaues, doch Vorwürfe kommen auf, und Frau von Stein, die Geliebte, muss sich rechtfertigen. Hat sie ihn vertrieben? Dann: Das Posthorn schallt. Eine erste Sendung – aus Rom.

Charlottes weiße Robe volante oder Chemise à la Reine gleicht einem Hauskleid mit korbartig gestütztem Rock und Schichten eines umhangartigen Oberkleids. Auch Maske und Frisur (Katja Reich) sind spätes Rokoko, was sich jenseits des gepuderten Gesichts an der rosafarbenen Perücke mit koketten Dekorationen in Vogelgestalt zeigen wird.

Um sie, die Gattin des nur als Sitzpuppe (von Christian Werdin) zur Linken anwesenden Herrn Josias von Stein, in ihrem „Gespräch“, das ein Bühnenmonolog ist, in aller Pracht und Fragilität zu inszenieren, ist Charlotte vor einer Stoffbahn positioniert, deren Faltenwurf einem Wasserfall gleicht. Ein Tischchen mit Glocke für die Dienerschaft nebst Glas und „allen“ Briefen zwischen ihr und Goethe komplettiert die Bühne.

Peter Hacks (1928-2003) teilt sein Monodrama, dessen Form den Titel ironisch aufhebt, in klassische fünf Akte mit entsprechender Dynamik. Gerade den Welterfolg „Ein Gespräch im Hause Stein“ zeichnen Leichtigkeit, Humor, gedanklicher Reichtum und sprachliche Eleganz aus. Zu DDR-Zeiten stand Hacks damit in literarästhetischen Grabenkämpfen, doch ob und was diese Gelöstheit damit zu tun hat, dass sich Hacks damals zusehends zu einem Goethe der DDR stilisierte und das kultivierte, was er „sozialistische Klassik“ nannte, kann uns heute weitgehend gleichgültig sein. Selbst wenn die theoretische Basis seines Klassizismus, dass die DDR nämlich ein Fall erlöster Welt ohne fortbestehende Widersprüche von Relevanz wäre, nur noch abstrus anmutet. Vielleicht wollte der „bürgerliche“ Hacks ja einfach nur Kunst voller Artistik, Glanz und Fantasie machen, ohne sich von Romantik und Moderne (für ihn fast ein und dasselbe) dreinreden zu lassen.

In Frankfurt zumindest kann sich das Ergebnis sehen lassen. Wie Regisseur Hametner beim Schürzen der Katastrophe das Licht erst wärmer, dann urplötzlich eiseskalt einrichtet, als Charlotte sich nach allem Wüten gegen den vor zehn Jahren noch so unfertigen „Lumpen“ Goethe zum Eingeständnis ihrer Liebe durchgerungen hat und schon von einer Zukunft als Charlotte von Goethe schwärmt, um dann doch wieder vom ewigen Wetter-Einerlei des Hessen in seinem ersten Brief an sie zurückgestoßen zu werden, dass ihr der gipserne Herakles Farnese aus den Fingern fliegt und ineins mit ihrem Glück zerbricht: Ja, das hat etwas.

Eine kluge, mit den Sätzen mitzitternde Regie ist das, die Schäfers furiose Charlotte mit in den Stand erhebt, an dieser von Hacks leise verachteten Gestalt ganz neue, fast „MeToo“-mäßige Furien-Aspekte zu entdecken und auszustellen.

Volksbühne im Großen Hirschgraben, Frankfurt: 22. Oktober,

11., 28. November. volksbuehne.net

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