„Gelsomina Dreams“: Im Zirkus des Unbewussten

Das Tanz- und Artistikstück „Gelsomina Dreams“ aus Turin im Gallus-Theater.
Von allen zauberhaften Filmen des Federico Fellini ist „La strada“ vielleicht der magischste, was die unüberschaubare Zahl künstlerischer Anknüpfungen an ihn erklären dürfte. Wie der mit einem Oscar belohnte Regisseur Giulietta Masina als Gelsomina neben Anthony Quinn als sprichwörtlich gewordenen Zampano und Richard Basehart als Akrobat „il Matto“ (der Verrückte) auf Tour durch ein ärmlich-bäuerliches Italien schickte, wo sie einfachen Menschen unwahrscheinliche Spektakel aus Zirkus, Zauberei und Musik vormachen und ihr angespanntes Leben mit raren Glücksmomenten führen, fasziniert bis heute. Nicht zuletzt wohl, weil Fellini seine eigene Frau inszenierte und vom Verkauf zweier Töchter bis zu Gelsominas Zerbrechen an Zampanos Schroffheit, vom Totschlag am „Matto“ bis zur Einsamkeit der Straße, Kerker und Verzweiflung viel archetypische Psychologie einfließt.
Was auf Einladung von Raffaele Irace, Tanzleiter am Frankfurter Gallus-Theater, und gefördert vom Kulturinstitut Köln auf die Frankfurter Bühne gelangte, war das zuvor Lockdown-blockierte Gastspiel „Gelsomina Dreams“. Caterina Mochi Sismondi hat die einstündige Koproduktion ihrer Turiner Compagnie „blucinQue“ mit einer Zirkustruppe aus dem Turiner Großraum („cirkovertigo“) inszeniert.
Wo sein Geist umgeht
Außer Elisa Mutto als barfüßige Gelsomina in T-Shirt und Turnhose agieren fünf Tänzer-Akrobaten in coolen hellen Anzügen alla dolce vita (Kostüme: F. Bregolato, C. Carucci), Paolo Stratta als Conferencier und Leierkastenmann, Nina Stratta als kindliche Gelsomina sowie für die Live-Musik Bea Zanin (Cello, Sounddesign, Schauspiel) und Nicolo Bottasso (Geige, Trompete, Sampling). Die Synthese der Bewegungssprachen Tanz und Akrobatik, letztere vielfach mit bewegten Ringen, schien sehr gelungen.
Sismondis Fellini-Hommage versetzte Tänzer und Tänzerinnen sowie Publikum in ein ruhendes oder aufgegebenes Filmset, wo Fellinis Geist umgehen könnte und Gelsomina zu traumhaftem Leben erwacht: eine junge Frau als delikat-sensible Träumerin und Traum an ihrem Nicht-Ort im Zirkus des Unbewussten.
Licht, zurück ins Publikum
Seltsame Lichter (Design: Massimo Vesco) erinnern mal an prä-elektrisches Bühnenlicht, mal an Votivkerzen. Ein Gerüst betont das Provisorische unserer Kulissenwelten, ein Scheinwerfer wird „subjektiv“ Akteuren nachgetragen, ein kleiner Spiegel lenkt Scheinwerferlicht symbolstark ins Publikum zurück. Die gar nicht abstrakte Bühne verstärkt die Tanztheater-Anmutung.
Musikalisch setzt dieser Gelsomina-Traum Nino Rotas Filmmusik ein oder drückt Gelsomina gleich die Trompete in die Hand, wenn nicht just mit dem „Nussknacker“ und Glocken- und Uhrwerksklängen, mit Stücken etwa von Serge Gainsbourg oder auch neuerer Musik gespielt wird. Eine gewisse Unheimlichkeit und Verse von Jorge Luis Borges verweisen auf Federico Fellinis Faszination vom Übernatürlichen. Filmfetzen und ein „Mastroianni-Monolog“ deuten über „La strada“ hinaus auf Fellinis Interesse für Zirkuswelten hin. Was alles an diesem Abend überaus anregend war, vor allem aber zirzensische Leichtigkeit ausstrahlte.