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Der frohe Gott

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Fasolt mit rauchendem Wotan in Chemnitz.
Fasolt mit rauchendem Wotan in Chemnitz. © Kirsten Nijhof

Ein Ring, vier Regisseurinnen: Verena Stoiber überzeugt zum Auftakt mit einem durchdachten und zutiefst menschlichen „Rheingold“.

Ein von vier Regisseurinnen inszenierter Ring: In der Welt, in der sich wirklich für alle gut arbeiten ließe, wäre das eine solche Selbstverständlichkeit, dass niemand darüber spräche. Wie die Dinge liegen, ist das jetzt am Theater Chemnitz gestartete Projekt außergewöhnlich. Aber nur, weil überall im Land Regisseure Ringe schmieden und sich auch bei den in Mode kommenden gemischten Ringen für gewöhnlich nicht einmal zufällig eine Regisseurin ins Quartett mischt. Sieht man von Vera Nemirovas Frankfurter und Rosamund Gilmores Leipziger Ring ab oder von Tatjana Gürbacas Wiener Unternehmung (in der allerdings nicht alle Steine von Richard Wagners Tetralogie aufeinanderblieben), sind Regisseurinnen in diesem vielbeachteten Segment weiterhin Ausnahmen. Historisch betrachtet ist an Ruth Berghaus zu denken, und es ist ironisch und irgendwie typisch für die Machtverhältnisse in Bayreuth: Der zweite, über Jahrzehnte gespielte Festspiel-Ring war von Cosima Wagner, für den nächsten Ring (2020) ist ebenfalls eine Frauen-Quartett-Lösung im Gespräch.

Nur theoretisch macht es skeptisch: Will man als Frau engagiert werden, weil man eine Frau ist? Will man als Zuschauerin darauf gestoßen werden, dass der „weibliche“ Blick ein anderer ist, der männliche hingegen der Normalfall? Praktisch ist es offenbar sinnvoll und erforderlich, und der Chemnitzer Auftakt gab dem dortigen Intendanten Christoph Dittrich ohnehin recht. Lange kein so durchdachtes, gewitztes und ausgefeiltes „Rheingold“ gesehen wie das von Verena Stoiber. Die musikalische Seite regelt Guillermo García Calvo gewieft, nervöse Hörner gibt es auch anderswo, und Zukäufe bei den Sängern sorgen für ein beträchtliches Gesamtniveau.

„Das Rheingold“ als munterster Teil bietet sich natürlich an für eine Lesart, wie Stoiber sie nicht nur versucht, sondern trefflich durchführt: eine sehr menschliche, auch quasi bodenständige. Wenn Wotan von Erda an das Ende erinnert wird, schwebt ihm keine Götterdämmerung vor. Er selbst ist es als alter Mann, der sich wie in einem Spiegel entgegenkommt. Trotz der kleinen Unlogik, dass Wotan hier anscheinend erstmals sein ja schon erwähntes verlorenes Auge wahrnimmt, ist das eine erstaunlich ergreifende Szene.

Sie funktioniert, weil Bernadett Fodor eine unerwartet ausgreifende Erda-Stimme bietet, aber auch, weil die Chemnitzer einen relativ jungen Wotan eingekauft haben, den 40-jährigen Ungarn Krisztián Cser. Sängerisch ist er kernig und geschmeidig. Darstellerisch ist er eine Wucht: Jugendlich und ungezogen, ein Bruder Leichtfuß, der sich mit Fricka gut versteht, der keineswegs unsympathischen Monika Bohinec, mit der er zur Ouvertüre zu spät ins Theater kommt (grandios, Wotan schläft sofort ein). Die Begegnung mit dem eigenen Altern (damit rechnen Götter nicht) verändert ihn bereits deutlich. Das Zauselhaar gestriegelter, geht er am Ende etwas nebenbei seitlich ab: Das Bild zur pompösen Schlussmusik gehört den Rheintöchtern, die sich (nach dem Sündenfall) Kleider suchen und als Prostituierte verdingen müssen. Stoibers Blick ist psychologisch interessiert und zu Ende gedacht, aber auch politisch. Die Rheintöchter in Nacktanzügen und mit gelbgoldenem Haar – zusammen mit dem Haarschmuck ist das das Rheingold – schwingen geschickt an Seilen, Alberich ist ein Tierwesen, am Boden kröpelnd. Eine echte Urszene. Loge, auch er am Rand auf einem Theatersitz schon dabei, beendet sie, indem er Alberich ein Messer reicht. Loge als Strippenzieher: Das ist nicht neu und leuchtet immer nur halb ein, beglaubigt hier aber zusätzlich durch Benjamin Bruns’ lebhaftes Spiel und metallisch glänzenden Tenor.

Die Gewalt ist in der Welt, der Kapitalismus folgt auf dem Fuß, und Walhall ist dann bereits die Berliner Mauer, deren Tür Fricka vergeblich sucht. Freya war eben wieder shoppen, und Alberich lässt die Nibelungen nicht das Gold mehren, sondern Waren herstellen. Er, ein Zuhältertyp, den Jukka Rasilainen lässig darstellt und stark singt, nutzt ein Stockwerk seines Reichs zur Kinderarbeit, ein anderes als Bordell.

Niemand steht hier einfach herum: Freya – wenige Regisseure scheren sich um sie: Ist er das womöglich, der weibliche Blick? – wird von Stoiber als nölende Pubertierende gestaltet. Maraike Schröter spielt das unbedingt mit, wird von Ausstatterin Sophia Schneider auch als Püppchen eingekleidet. Man sieht die verratene und verkaufte Göttin als trotziges, verwöhntes Kind, dessen Unreife und innere Abwesenheit das Folgende – vor allem das letztlich unveränderte Hervorgehen aus dem finsteren Handel – begreiflich macht.

Auch wenn man in Rechnung stellt, dass ewig offen bleiben wird, ob Stoiber mit ihrer so einleuchtenden und detailreichen Konzeption durch alle vier Abende gekommen wäre, gilt hier: Man hätte gerne gesehen, wie sie sich weiter vorarbeitet.

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