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Filmprojekt „Beethoven – ein Geisterspiel“: Aber kosten soll’s nichts

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Anika Baumann als Bettina von Arnim. Foto: Andreas Etter
Anika Baumann als Bettina von Arnim. © Andreas Etter

Jan-Christoph Gockel hat die Corona-Zeit genutzt und im Staatstheater Mainz einen unterhaltsamen und bösen Beethoven-Film gedreht.

Aus Jan-Christoph Gockels Mainzer Theaterprojekt „Beethoven“ wurde durch die Coronakrise der Film „Beethoven – ein Geisterspiel“. Das funktioniert von allen Seiten aus betrachtet unheimlich gut. Dringt sonst der Film ins Theater ein, und hätte es auch bei der geplanten Aufführung im Großen Haus zweifellos getan (mit der auch jetzt aktiven „Live-Kamera“ von De-Da Productions), so verschafft sich nun die Bühne im Film ihren Raum. Die Bühne hat den Vorteil, wirklich dreidimensional zu sein, überhaupt wirklich zu sein. Ist manchmal im Theater der filmische Anteil so groß und großartig, dass das Publikum womöglich nicht genau versteht, weshalb es wieder auf die herkömmliche Spielebene zurückkehren soll, so ist es jetzt umgekehrt: Natürlich will man Julia Kurzwegs merkwürdigen, teils psychedelischen Wohnburgvarietékoloss auf der Drehbühne des Großen Hauses in echt sehen. Da ist es ja, zum Greifen nah, aber arg winzig.

Das sich hier abzeichnende Patt zwischen Theater- und Filmkunst stimmt gleichwohl friedlich, aber nicht die nervösen Akteurinnen und Akteure. Manchmal wirken sie wie bestellt und nicht abgeholt. Manchmal maulen sie. Manchmal finden sie sich drein, bloß Filmfiguren zu sein.

Gockel hat also sofort eine weitere Ebene eingezogen: Rüdiger Hauffe spielt nicht allein den berüchtigt unzuverlässigen Beethoven-Sekretär und -Biografen Anton Schindler, sondern bemüht sich auch, als eine Art Zeremonienmeister den Laden zusammenzuhalten. Er wirkt zunehmend angestrengt, dann verlottert, dann desintegriert. Anika Baumann ist nicht nur Bettina von Arnim, die sich rasend für den genialen Beethoven interessiert, sondern auch eine Schauspielerin, die sich das hier anders vorgestellt hatte. Schön und traurig die Idee, dass sie glaubt, das Publikum sei bloß in ein anderes Theater gegangen. Trotzdem rafft sie sich auf und wird zur Superwoman und nachher zur selbstzufriedenen Matrone Europa. Die Kostüme von Sophie Du Vinage geben Gelegenheiten zum Mummenschanz, aber es bleibt flirrend. Wie in der Reality-Show gibt es zwischendurch kleine Interviews zur Stimmungslage. Die Stimmung ist so lala.

Michael Dahmen wiederum ist nicht nur ein Beethoven-Denkmal, ein veritabler Komtur, sondern auch ein Sänger, der mit der Ruhe und den guten Nerven eines Baritons trotzdem langsam an der Gesamtsituation zweifelt. Puppenbauer Michael Pietsch hat Beethovens in verschiedenen Größen und Farbgebungen am Wickel, aber auch ihm ist anderes versprochen worden, als im menschenleeren Theater herumzuhängen.

Und Beethoven selbst? Vincent Doddema, der – anders als das Beethoven-Denkmal und die Beethoven-Puppen – absolut nicht wie Beethoven aussieht, ist in erster Linie schwerhörig. Er huscht herum, er wüsste gerne, worum es geht. Er ist ratlos. Erst wirkt das wie ein Spaß, aber dahinter steckt Grundlegendes. Der Abend läuft an Beethoven, der kein Wort verstehen kann, dessen Leben durch die frühe Ertaubung ruiniert, der in die Isolation und Einsamkeit gezwungen wird, komplett vorbei. Die Kollegen haben den Eindruck, Doddema habe sich in seine Rolle bloß heillos reingesteigert (ein mimetisches Ertauben). Das Publikum hingegen wird ihn schließlich für Beethoven halten und begreifen, dass wir kaum eine Vorstellung von ihm haben außer der, was die Tradition (auch die Anton-Schindlerische) und das Marketing servieren. Abgesehen davon könnte es immer noch so sein, dass Vincent Doddema bloß Vincent Doddema ist und Beethoven ganz abwesend.

„Beethoven – ein Geisterspiel“ vermittelt wenig über Beethoven und viel über seine Verehrer. Handverlesene Raritäten bieten sich musikalisch: Generalmusikdirektor Hermann Bäumer dirigiert an Bildschirmen sichtbare Orchestermitglieder, auch der Chor singt aus dem Off. Am Klavier Fiona Macleod als mechanische Spielautomate. Das ist sicher preiswerter als eine echte Pianistin.

Ein weiterer Kommentar zur Krise, aber auch zur stets prekären Situation der Kunst: Bäumer haust nachher offenbar im Orchestergraben (im Schlafsack), mit einem Leckerli gelockt, steht er sofort wieder parat, als Frau Europa Musik will, die unsympathische Tucke. Natürlich will sie die Neunte, die Ode. „Ludwig, ich habe mich immer wohl bei dir gefühlt.“ Jedoch: „Für die Kunst habe ich gerade nichts übrig.“

So wenden sich die 80 kurzweiligen Minuten ins Sardonische. Einerseits ist es ein Alptraum, mit dieser Europa-Kuh im Theatergebäude festzusitzen. Andererseits sind die Beethovenpuppen von ihrem Spieler inzwischen in alle Welt gesendet worden. Man sieht sie im europäischen Ausland, auf fernen Kontinenten. Für sie gelten keine Reisebeschränkungen, und überall werden sie willkommen geheißen und gut behandelt. Beethoven ist auf Europa nicht angewiesen.

Auch am Staatstheater Darmstadt wurde übrigens ein Musik-Film gedreht, „Ein Lied von der Liebsten mein“ (zu Schumanns „Dichterliebe“): Am Wochenende wird er erstmals zu sehen sein, eine Woche später folgt der Versuch, das Geschehen wieder möglichst „live“ zu machen. Das Theater profitiert davon, dass es sich längst auch in anderen Formen eingerichtet hat. Mögen viele Home-Videos rührend dilettantisch wirken (und dies dürfte meistenteils auch beabsichtigt, jedenfalls nicht vermieden worden sein), so sind doch in den vergangenen Monaten auch hochprofessionelle Sachen entstanden und purzeln jetzt dem bedürftigen Publikum entgegen.

„Beethoven – ein Geisterspiel“ steht in den Mediatheken von ZDF und 3sat, erreichbar auch über www.staatstheater-mainz.com

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