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„Faun/VÏA“ bei Maifestspielen: Zwischen Mensch, Tier und Gottwesen

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Von: Marcus Hladek

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„Faun/VÏA“. Foto: Gregory Batardon
„Faun/VÏA“. Foto: Gregory Batardon © Gregory Batardon

„Faun/VÏA“: Ein kontrastreicher Doppelabend aus Genf bei den Maifestspielen Wiesbaden.

Zu den Maifestspielen Wiesbaden angereist vom Grand Théâtre de Genève, passten „Faun“ von Sidi Larbi Cherkaoui nach Nijinskys Ballett von 1912 und der moderne 55-minütige Abendfüller „VÏA“ von Fouad Boussouf in ihren Kontrasten fast so gut zueinander wie in ihren Berührungspunkten. Den größeren Namen mag Cherkaoui haben. Ihn verschlug es im Vorjahr, nach sieben Jahren als Leiter des Ballet Vlaanderen, als Ballettdirektor zum Grand Théâtre de Genève und seinem glänzenden Tanzensemble.

Sein kurzes Duo „Faun“ hatte er bereits 2009 James O’Hara in London auf den Leib choreografiert. Es ist ein stimmungsvoll atmosphärisches Tanzstück, das mit der großen Vorlage sachte und respektvoll umgeht. Die betörende Musik Debussys, die auf Mallarmés Gedicht reagierte, bleibt in „Faun“ beherrschend, allerdings fügte der Indobrite Nitin Sawhney klingende Unterbrechungen ein, die von Stil zu Stil und Kultur zu Kultur hüpften. Eine dieser Sekunden-Interventionen klang nach tibetischem Tempeldienst mit Klangschalen und betenden Lamas.

Großartig, wie Oscar Comesaña Salgueiro als Faun und Madeline Wong als Quellnymphe das morgendliche Erwachen und die unschuldig-lustvollen, traumhaft-sinnlichen Fantasien eines mythischen Lebens zwischen Mensch, Tier, Gottwesen darboten. Kaum, dass ihre textilarmen Kostüme (Hussein Chalavan) in Falten und Rippen entfernte Vorstellungen von Fell und Wellen weckten. Kein Platz für alberne Bockshörner. Technisch beeindruckend war der lebendige Prospekt eines Laubwaldes aus Licht, der zu Mallarmés antikischer Sumpfszene an den Ätna-Hängen passte. Dazu der kunstvolle Einsatz sich kreuzender Lichtsäulen und Verfolger. Schade, dass sich dieser „Faun“ auf eine so kurze Hommage beschränkte.

Ob es den Bühnendimensionen geschuldet war, dass „VÏA“ in Wiesbaden mit zwölf (statt fünfzehn) Tänzerinnen und Tänzern zur Aufführung kam? Boussouf hätte an der Länge des neuen Auftragswerks für Cherkaoui durchaus knapsen dürfen. Es machte Eindruck, aber fünf bis zehn Minuten kürzer hätten „VÏA“ gutgetan.

Beide Ballett-Chefs, aus Genf und Le Havre, haben auch marokkanische Wurzeln und Sinn für Tradition. Wo Cherkaouis „Faun“ an Nijinsky anknüpfte, eröffnete das von sieben Tänzern und fünf Tänzerinnen interpretierte „VÏA“ in roten Talaren oder Kaftanen (später wichen sie blauen und gelben Kostümen von Gwladys Duthil) und setzte auf eine Fülle moderner Tanzsprachen mit Momenten klassischen Balletts.

Bühne von Ugo Rondinone

Der chorisch-kollektive, geometrisch aufrechte Tanz im Raum und das Spiel mit flächigen Farben beim Kostüm und an der Hinterwand muteten postmodern an, waren aber auch von bildender Kunst geprägt. Das Bühnenbild stammte vom Schweizer Ugo Rondinone (Licht: Lukas Marian), dessen poetischer Minimalismus kürzlich in Schirn und Städel zu erleben war. Sein dunkles Türkis und Laubfroschgrün, das sonnenhelle Gelb und Blutrot erwärmten die Bühne wie der literarische Sonnenkult eines Camus. Neben der rhythmusbetonten Musik verstärkten sie den rauschhaft-psychedelischen Effekt des Tanzes. Starker Tanzabend.

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