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Emanuel Gat mit „Lovetrain2020“ in Darmstadt: Der Liebeszug rollt und rollt

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Von: Sylvia Staude

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An Malerei lässt sich auch denken: Szene aus „Lovetrain2020“.
An Malerei lässt sich auch denken: Szene aus „Lovetrain2020“. © Julia Gat

Emanuel Gats Tanzstück „Lovetrain2020“ im Staatstheater Darmstadt.

Frage an Emanuel Gat: „Erinnerst du dich noch daran, was du dir vorgestellt hast, als du mit der Kreation deines Stückes begonnen hast?“ – Antwort des israelischen Choreografen: „Buchstäblich nichts. Eine leere Leinwand.“ Mag sein. Aber die leeren Stück-Leinwände füllt Gat dann offenbar mit großer Entschlossenheit, mit kräftigem und auch farbenfrohem Pinselstrich.

Der in Frankreich lebende und dort geförderte Choreograf ist der Spotlight-Künstler des diesjährigen Tanzfestivals Rhein-Main. Mit seinem herrlichen „Act II & III or The Unexpected Return Of Heaven and Earth“ begann im Frankfurt LAB das Festival, die gewählte Musik war eine (tosend eingespielte) „Tosca“-Aufnahme mit Maria Callas. Im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt gab es jetzt Emanuel Gats „Lovetrain 2020“, eine ähnliche Bewegungspracht, diesmal zu 80er-Jahre-Musik von Tears for Fears: „Sowing the Seeds Of Love“, „Everybody Wants To Rule the World“ und andere Hits. Auch hier trägt die Musik den Tanz, aber auch hier verändert der Tanz die Qualität und Wahrnehmung der bekannten, teils allzu bekannten Musik.

Das Licht (Gat) und die Kostüme (Thomas Bradley) spielen außerdem eine markante Rolle. Manchmal scheint hinter den Tanzenden die Sonne aufzugehen (oder zu versinken), hüllt sie in Wärme; manchmal sieht man die Tänzerinnen und Tänzer nur umherhuschen als Schatten oder bloße fahl beleuchtete Umrisse. Ihre Körper sind verpackt in mehrere schimmernde Stoffschichten, sie tragen üppiges Rockartiges zu nacktem Oberkörper, schräg wie Schärpen gebundene Oberteile, Glitzerkleider. Man könnte meinen, dass man sich in einer solchen Menge Stoff schlecht bewegen kann, aber das bekommen sie hin. Nonchalant raffen sie die Röcke, klemmen sie sich bisweilen einfach mal kurz zwischen die Schenkel.

Alles geht, das ist das wundersam funktionierende Prinzip der Stücke Emanuel Gats. Im einen Moment stürmt in „Lovetrain2020“ das Ensemble – 14 Tänzerinnen und Tänzer – die Bühne, springt, wedelt mit den Armen, wirkt wie eine ausgelassene Party-Gesellschaft, versprüht Energie. Im nächsten Augenblick schon ist ein Tänzer oder eine Tänzerin allein, webt leicht versonnen wirkende Bewegungsfolgen, oder sitzt gar auf dem Boden für ein seltsames Fingerballett.

Dabei ist Emanuel Gats Bewegungssprache eine Wundertüte. Sie lässt sich in keine Schublade stecken, wirkt oft wie ein Kinderspiel, eine kleine Konkurrenz, aber keineswegs läppisch. Als probierten hier Menschen aus, was sie mit ihren Körpern, mit Streckungen, Biegungen, Armschwüngen, Schritten, Sprüngen so alles anstellen können.

Und wenn in „Lovetrain2020“ vier von ihnen sich anlächeln und dann die Hände ineinander legen wie zu einem Ringelreihen, dann sind das in Pandemiezeiten ein Schreck und eine Verzauberung zugleich. Emanuel Gats choreografische Kunst scheint also absichtslos, wie zufällig gefügt, szenisch zusammengewürfelt, auch wenn die Stücke natürlich über eine Dramaturgie verfügen. Aber sie plustern sich nicht auf, erheben keinen anderen Anspruch, als den tanzenden, dabei unterschiedlich gestimmten Menschen zu zeigen. Selbst in den Ensemble-Szenen sind es freilich Individuen; und dies nicht nur dank der diversen wilden Kostüme, sondern der ganz unterschiedlichen Statur, Haartracht, Herkunft.

Das Publikum im Staatstheater Darmstadt erhob sich zu einem ausdauernden Applaus. Leider sind keine weiteren Aufführungen von Emanuel Gat Dance bei diesem Festival zu sehen, doch zeigt das Kunst-Haus in Wiesbaden noch bis einschließlich Sonntag „Hinter den Kulissen“-Fotografien, erstellt vom Choreografen.

Tanzfestival Rhein-Main: noch bis 14. November.

www.tanzfestivalrheinmain.de

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