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„Draußen vor der Tür“ in Marburg: Selbst der Tod hat sich überfressen

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Von: Judith von Sternburg

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„Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert im Marburger Tasch: Die Elbe (l.) und der Beckmann, Charlotte Ronas und Sven Brormann. Foto: Jan Bosch
„Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert im Marburger Tasch: Die Elbe (l.) und der Beckmann, Charlotte Ronas und Sven Brormann. Foto: Jan Bosch © Jan Bosch

„Draußen vor der Tür“, das immerwährende Stück von der vergeblichen Heimkehr aus dem Krieg, am Hessischen Landestheater in Marburg.

Gerade wurde der Vertrag der beiden Intendantinnen Eva Lange und Carola Unser-Leichtweiß um weitere fünf Jahre bis 2028 verlängert. Außerdem gibt es künftig etwas mehr Geld, durch zusätzliche 406 000 Euro soll der Etat auf 5,8 Millionen im Jahr wachsen: Das Hessische Landestheater in Marburg hat einen Lauf, und die Doppelspitze ist so erfolgreich, dass sie der zuständigen Politik nach eigenem Bekunden auch als Ermunterung für das künftige Wiesbadener Intendantinnen-Duo diente.

Vor Ort auf der größeren der Schwanenhof-Bühnen diesmal Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“. Das Heimkehrerstück hat in einer Welt, in der alles stirbt, nur der Krieg nicht, eine immerwährende Relevanz. Am Eingang die „Contentwarnung“, dass „Krieg und Suizid“ thematisiert werden. Sicher ist sicher, jetzt könnte man noch schnell umdrehen. Auch sagt es, wie es ist: Krieg und Suizid werden thematisiert. Der 26-jährige Autor starb einen Tag vor der Bühnen-Uraufführung 1947 (eine Radioversion gab es schon).

Thomas Bockelmann inszeniert das episodische Stück und bringt es in einen melancholischen Erzählfluss, stetig unterstützt von je nachdem klimpernder oder finsterer Livemusik am Klavier (Christian Keul). Auf der Bühne von Mayke Hegger bemerkt man zuerst die Fotografien am Boden, Theaterteelichter davor, die Toten aus Krieg und Gewalt offensichtlich (ein Foto zum Beispiel aus dem Internet wiedererkannt – manchmal ist der Zusammenhang klar, manchmal nicht).

Einer rülpst, einer heult

Tod und Gott treffen sich hier im Prolog wie in einem Beckett-Stück. Der übersatte Tod rülpst, und der einsame Gott heult, und Jürgen Wink und Georg Santner servieren das mit einem unmanierierten Als-Ob. Kann sein, sie sind halt zwei dahergelaufene Komödianten, kann sein, sie sind es wirklich, der Tod und Gott.

Nicht sofort bemerkt man, dass zwischen den Fotografien ein Wasserbecken ist, darin ein hohes Behältnis, das sich nach oben ziehen lässt und unter dem, etwas umständlich, aber eindrucksvoll, Beckmann auftaucht, der absolut nicht zu Scherzen aufgelegte Sven Brormann. Triefnass ist er, hat er doch bereits versucht, in die Elbe zu gehen, aber die Elbe will ihn nicht. Will ihn noch nicht. Er ist noch nicht lebensmüde genug, sagt ihm die Elbe. Charlotte Ronas sagt es nett und gemütlich, wie sie nachher auch nett und gemütlich die neue Bewohnerin des Hauses ist, in dem früher Beckmanns Eltern wohnten. Jetzt sind sie tot, die Eltern, tja, sagt die Frau und sagt die ganze Haltung der Frau. Es muss die Menschen 1947 im Mark getroffen haben, wie für die einen alles vorbei ist und die anderen wollen gepflegt zu Abend essen. Wie die Familie des Oberst, zu der auch Fanny Holzer gehört, zuvor das atemberaubend traurige Mädchen, das der noch tropfende Beckmann am Ufer kennenlernt.

Denn Beckmann will ja leben, und Brormann zeigt einen Mann, der bereit wäre, sich zusammenzunehmen. Aber wie die Dinge liegen und wie die Menschen sind, geht es nicht. 80 intensive Minuten geht das so, ein unaufdringlicher Abend, in dem das Theater Platz zum Denken und Atmen lässt. Die Fotos, die im Getümmel umgekippt sind, stellt Holzer am Ende wieder hin, still und achtsam.

Hessisches Landestheater Marburg, Großes Tasch: 8.. 10. April, 5., 7., 24. Mai. www.hltm.de

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