Diskussion um Zukunft der Städtischen Bühnen

Sanierung am Willy-Brandt-Platz - oder doch ein Neubau? Die Römerberggespräche über die Zukunft der Städtischen Bühnen.
Bei den 45. Römerberggesprächen klatschte am Samstag eine deutliche Mehrheit für den Verbleib der Städtischen Bühnen Frankfurt am Willy-Brandt-Platz. Auch schien es eine Mehrheit für den Erhalt der Theaterdoppelanlage von 1963 zu geben, wobei das Bild nun schon bunter wurde. Bunter, aber vorerst nostalgisch. Zumal die Römerberggespräche seit Jahren im Chagall-Saal des Schauspiels stattfinden, eine Unlogik, mit der Frankfurter prima leben können.
Diesmal hatte sie den Vorteil, das Publikum direkt an den Ort des Geschehens (der Sanierung oder des Abrisses) zu bringen: Im Blick das eigens für das Gebäude gemalte Chagall-Bild, über sich die Wolken Zoltán Keménys, von innen wie außen zu sehen, bei Tag und Nacht. Es handele sich doch gewissermaßen auch um einen Museumsbau, hieß es zwischendurch.
Iden: Nein zur Standortaufgabe
Die Wendung des langjährigen FR-Theaterkritikers Peter Iden, er empfinde sich bis heute beim Betreten des Hauses als beglückt, wurde umso leichter geteilt. Ebenso die Formulierung, er könne sich nicht vorstellen, dass das Gebäude verschwinden solle. Er sprach vor allem ein glasklares Nein zur Standortaufgabe: Die Stadt, sagte er, verlöre ihr Herz. Er konnte mit seinem eigenen Kritikerleben (alleine 400 Schauspiel-Frankfurt-Rezensionen in 50 Jahren, schätzte er) auch das Leben des Hauses Revue passieren lassen.
So war er der erste von etlichen an diesem Tag, der über Einar Schleefs Arbeiten sprach. Auch sprach er als erster von etlichen über Rainer Werner Fassbinders „Der Müll, die Stadt und der Tod“ und den aufsehenerregenden Verlauf der Aufführungsverhinderung 1985. Weil Peter Iden schon damit angefangen hatte, meldete sich der damalige Intendant Günther Rühle aus dem Publikum zu Wort und erklärte, durch Fassbinder sei das Gebäude Geschichte geworden. Auch biete es doch alles, was man brauche, wenn man das Bockenheimer Depot mitrechne.
(K)eine Angst vor Veränderung
Nachdem der Berliner Theaterkritiker Dirk Pilz dazu ermutigt hatte, man solle doch zumindest keine Angst vor Veränderung haben, wurde es mit einem kleinen Streitgespräch zwischen den Architekten Peter Böhm (Köln) und Ernst Ulrich Scheffler (Frankfurt) zunehmend praktisch. Die Summe von 900 Millionen Euro, die für eine Sanierung der Theaterdoppelanlage im Raum steht, nannte Scheffler erschreckend. Es stehe angesichts der Auflagen zu befürchten, dass als nächstes der Passivhausstandard für den abgebrannten Goetheturm gefordert werde. Zumindest den vorderen Teil des Gebäudes gelte es zu erhalten. Er, so Scheffler, befürchte, eine Epoche der Stadt werde nach und nach eliminiert. Dass sich Frankfurt alle zwanzig Jahre umbaue, behage ihm nicht.
Damit war er nicht allein, und es zeigte sich, dass auch das Rundschauhaus in der Bevölkerung unvergessen ist. Außerdem, so Scheffler: Der Reiz der Elbphilharmonie werde auch nicht 50 Jahre halten.
Anders sein Kollege Böhm, der mit seinem Plädoyer für ein „festlicheres“ Gebäude eher auf den Nerv des herkömmlichen Opernbesuchers zielte als auf die darüber sogleich beunruhigten Schauspielfreunde. Aber es war gleichwohl aufschlussreich, sich einmal anzuhören, dass das Gebäude beim Betreten wie ein Kellereingang wirke. Und dass er, Böhm, es nicht unrealistisch fände, einen Neubau bis an den Main vorzuziehen.
Die am Morgen von der Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte anregend umrissene Vielfalt an Möglichkeiten, wie man sich einen Theaterbau vorstellen kann, spielte in den Diskussionen keine sehr große Rolle. Einleuchtend in diesem Zusammenhang der Einwurf einer Zuhörerin, bei den beeindruckenden Theatererlebnissen ihre Lebens sei nicht wesentlich gewesen, ob es sich um eine Guckkastenbühne oder eine offenere Form gehandelt habe. Weil die Macht der Gegenwart erheblich ist, hing die Entspanntheit bei diesem Thema vermutlich auch mit der so gelungenen „Richard III.“-Aufführung von Jan Bosse zusammen, mit der die Intendanz von Anselm Weber vor wenigen Wochen angefangen hat. So überwältigend wird hier der quasi entkernte Raum in Szene gesetzt, dass nicht ein einziges Mal über die als heikel geltende Bühne des Schauspielhauses lamentiert wurde. Im Gegenteil hieß es immer wieder: Gerade sehe man doch im „Richard“, dass hier alles möglich sei.
Weitgehend unumstritten ist ohnehin der äußere Schein des Opernhauses, dessen gute Akustik Intendant Bernd Loebe im Gespräch der Intendanten lobte, ebenso wie den kompakten Zuschnitt, der Intimität und doch ausreichend Platz biete. Auch Loebe gehörte zur Phalanx derer, die sich zu dem Gebäude nicht zuletzt aus autobiografischen Gründen bekannten.
Wert der teuren Technik nicht unterschätzen
Jetzt ging es um interessante Details: Weber äußerte die Befürchtung, dass ein sparsamer Neubau dazu führen könnte, auf Dinge wie Bühnenturm und große Drehbühne zu verzichten. Auch wenn am Samstag die Theaterinhalte immer wieder gegen technisches Buhei in Stellung gebracht wurden, warnte Weber davor, den Wert der Technik zu unterschätzen. Loebe konnte ergänzen, dass nur das Parken von Kulissenteilen auf der gewaltigen Opern-Drehbühne die rasche Abfolge diverser Produktionen ermögliche.
Weber scheint es zur Zeit vor einem Interim mehr zu grausen als Loebe. Dieser deutete an, er könne sich mittlerweile drei, vier sexy (!) Möglichkeiten zur Überbrückung vorstellen. Im beliebten Bockenheimer Depot sei allerdings viel weniger Platz fürs Publikum (400) als im Opernhaus. „Wenn wir im Bockenheimer Depot spielen, verlieren wir Geld.“ Webers Wunschtraum: Am Ort bleiben, für 200 Millionen Euro sanieren.
Jenseits der konkreten Zustände ging es immer wieder darum, was Theater heute will und soll. Zum Abschluss brach der Berliner Autor und Dramaturg Necati Öziri eine Lanze für ein politisches, inklusives Theater. Die Situation der von ihm bis vor kurzem geleiteten Gorki-Theater-Reihe R (denken Sie sich das R spiegelverkehrt, als kyrillischen Buchstaben) ist eine speziellere als die des Frankfurter Schauspiels. Dennoch fehlte das kraftvolle Gegenargument, als er darauf hinwies, dass im Spielplan für das Schauspielhaus 2017/18 keine Regisseurin auftauche und keine Autorin und kein Autor mit Migrationshintergrund, in einer Stadt, deren Bevölkerung zur Hälfte nichtdeutsche Wurzeln habe.
Auch der offizielle Teil der Stadt fehlte übrigens recht schmerzlich. Alf Mentzer, der zusammen mit Insa Wilke moderierte, äußerte zunächst Verständnis dafür, dass es derzeit wohl nicht-öffentliche Meinungsbildungsprozesse gebe. Andererseits beklagten die Intendanten das „Vakuum“, das hier allmählich entstehe. Sie rieten dringend davon ab, bis zur OB-Wahl im Februar den Kopf in den Sand zu stecken.
Im Radio bietet HR2 einen Zusammenschnitt am 4. November, 18.05 Uhr.