„Digitales Feuer“ am Staatstheater: Sie verachten alle Zauderer

Ulf Erdmann Zieglers erstes Theaterstück „Digitales Feuer“ im Staatstheater Wiesbaden.
Ob sich die reale „Letzte Generation“ da draußen in der erwärmten Welt treffend abgebildet sieht, falls sie ins erste Bühnenstück des Romanciers und Essayisten Ulf Erdmann Ziegler findet? Anschauen müsste sie sich, am Staatstheater Wiesbaden in Christoph Kohlbachers Regie, Jasper und Kathleen.
Gespielt werden dieser Jungaktivist und die Jungaktivistin von Paul Simon und Klara Wördemann. Wo Autor Ziegler ihnen fast unironisch kommt, denn da ist die Sprache vor (freie Verse jambischer Tendenz mit Anfangskapitalen: kaum hörbar, doch sehr geschickt etwa in Klippenversen fürs Chorkollektiv seiner „Armee der Ungeduldigen“), verleiht die Uraufführungs-Regie der Sache noch mehr Biss, da Kostümbildner Jannik Kurz die „Klimakleber“ sarkastisch sieht: Riesentube „KLEBER“ für sie, Stoppschild-Kopf für ihn. Was der wahren „letzten“ Generation nicht gefallen muss, hält sie doch vor Endzeit-Ernst wenig von Ironie. Steht uns das Wasser nicht schon morgen 65 Meter über Halskrause? Das macht Kunst und Reflexion prinzipiell suspekt.
Autor Erdmann Ziegler faltet die Umweltszene nach ihrem Verhältnis zur Reflexion auf. Nach dem singend ergänzten Prolog (Nina Völsch als weiße Blütenjungfer-Muse mit „Wonderful Life“) spielt das Stück drei von vier Akten lang beim Maler Anton (Noah Perktold). Sein Atelier sieht dank Lars Werneke (Bühne) aus wie ein Konferenzraum (mit Ober, Kaffee und Weltuntergangs-Pampe zum Mahl) oder ein Pausenraum für Schauspieler: Pflanzenkübel, breiter Tisch, diverse Lampen und Zeug, Bilder.
Da die alten Säcke
„Digitales Feuer“, formal reizvoll stilisiert, steht psychologischer Figurenzeichnung ferner als antiker Tragödienform. Hier die jungen Aktivisten, die alle Zauderer verachten; da die alten Säcke, die partout denken wollen, ehe sie handeln. Erstere überbieten sich wellenartig an Radikalität. Jasper und Kathleen sind heute Avantgarde und morgen selbst vom Denken infiziert, wofür A, B und C (Luise Ehl & Co.), die Namenlosen der marschierenden Statisten-Armee in Gelb, sie als „Kompromissler“ schmähen werden. Jugend ist nicht links, nicht rechts. Sondern aktionistisch.
Die Älteren staffeln sich auf ihre Art. Das Achtundsechziger-Paradigma erfüllt Fritz Glück, der philosophierende „Wissenschaftsnerd“, den Darsteller, Regie und Maske so karikieren: ein Uralter im Rollstuhl (Tobias Lutze), der alles historisiert, weil ihn das Hirn juckt, also auch die Geburt des Computers. Zeitlos als Guru ist hingegen Mister Bellamy, eine Handpuppe mit Nabelschnur (A, B und C zerreißen sie unfehlbar: sch... auf Geist, sch... auf Geschichte), die vom Olymp steigt und Weisheiten austeilt wie geweihte Hostien: ein Uralt-Baby als „Klugscheißerattrappe“, das Meister Yoda gleicht.
Der Rest ist schnell gesagt. Nina Völsch organisiert als Schauspielerin Birthe und Malers Muse lehrstückhaft das „Spiel“. Komischen Ausdruckstanz gibt es dank der Regie. Dann ist da, im letzten Akt IV, das tiefschwarze Setting aus Flockenasche und Müllsäcken, das zum Klang von „Black Day“ Analogfeuer aus der Öltonne zum Weltuntergang arrangiert. Das ganze Füllhorn eines Dramenerstlings eben, das sich in 90 Minuten reicher zeigt als 3500 Zeichen im Nachgang. Anne Lebinsky spielt hexenhaft die Ossi-Ärztin und improvisiert über Heiner Müller. Evelyn Faber: eine gereifte Fee. Lena Hilsdorf und Lina Habicht als Kino und Isis steigern sich in junge Ethnologinnen, eine mutiert zur Verächterin ihres Fachs, die andere zur Luxushure und zurück. Komplexes Panorama. Hingehen, anschauen.
Hessisches Staatstheater Wiesbaden : 22., 26. März, 5., 12., 13., 14. April. www.staatstheater-wiesbaden.de