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„Die Goldberg-Variationen“ am Schauspiel Frankfurt: Alles bloß die Inszenierung eines uralten Mannes

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Von: Judith von Sternburg

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Anna Kubin in Wolfgang Menardis hyperrealistischem Bühnenbild. Foto: Jessica Schäfer
Anna Kubin in Wolfgang Menardis hyperrealistischem Bühnenbild. Foto: Jessica Schäfer © Jessica Schäfer

George Taboris „Goldberg-Variationen“ am Schauspiel Frankfurt.

Die Geschichte von Adam und Eva ist natürlich älter, aber auch das Theater ist in die Jahre gekommen. Am allerältesten jedoch, wer hätte das gedacht, ist der Regisseur. Peter Schröder trägt eine George-Tabori-Perücke, aber keinen George-Tabori-Schnauzbart, und vielleicht muss man melancholisch zur Kenntnis nehmen, dass nicht mehr jeder Mensch, der gerne ins Theater geht, weiß, wie George Tabori (1914-2007) aussah. Es ist alles so lange her, und Peter Schröder spielt vor allem einen alten Mann, ja, einen uralten weißen Mann, und er spielt vorerst einmal nichts anderes.

Etliche Minuten vergehen, bevor in den Frankfurter Kammerspielen das erste Wort gesprochen wird. Der alte Mann rappelt sich aus der Matrazengruft seiner finsteren kompakten Wohnung, die Wolfgang Menardi (Bühne und Kostüme) en detail eingerichtet hat, er schlurft sagenhaft langsam zum Kühlschrank, offenbar nur um der Kühlung willen. Noch ein paar andere Leute huschen hier umher, auch gibt es einen Pianisten (Jonas Xaver Harksen, der gut beschäftigt ist, den Titelsong aber nur einmal kurz anspielen wird, Musik: Nika Pasuri). Nachher zeigt sich, dass das Hyperrealistische bloß eine Kulisse ist. Aber was heißt hier bloß. Was kann es im Theater Wirklicheres geben als eine Kulisse?

Taboris „Die Goldberg-Variationen“, 1991 uraufgeführt, ist ein schillerndes Stück, vielschichtig, witzig und nicht ganz so langsam, wie es in den Frankfurter Kammerspielen unter der Regie des Georgiers Data Tavadze wirkt. Den sorgsam hergestellten schlechten Zustand der Kulisse und die Überalterung des Regisseurs muss man offenbar als weitere Ebene begreifen. Nocheinmal sind 30 Jahre vergangen.

Erst mit Goldberg, dem wiederum unter der Jesus- und Handke-Perücke nicht einfach zu erkennenden Torsten Flassig, kommt etwas Schwung in die Bude. Goldberg ist der Regieassistent, der wie immer alles regeln muss. In Frankfurt heißt das: den Regisseur zunächst überhaupt in eine gewisse Verfassung bringen. Ihn in einen Körper steigen lassen, der ihm ein Gewicht verleiht. Dann Hose, Hemd, Jacke. Goldberg kennt das schon, der Regisseur kennt das schon, das Publikum hat in Ruhe Zeit, es kennenzulernen.

Allmählich belebt sich die Szene. Das Personal ist zusammengeschrumpft, wie so oft wurde wohl an den Schauspielern gespart, so dass das Theater im Theater und hier draußen auch in dieser Hinsicht miteinander verflochten werden. Verflochten ebenso die verbliebenen Darsteller, die hier Wolfgang und Mark heißen, von Mark Tumba und Wolfgang Vogler gespielt werden und zwillingshaft auftreten. Die beiden Schauspieler – Tumba und Vogler machen das wunderbar – können einem ziemlich auf die Nerven gehen. Ihre Arglosigkeit, Empfindlichkeit, Unreife: Während sie auf Selbstbehauptung und Mitbestimmung bestehen, erscheinen sie als mindestens skurrile Figuren, so als hätte die Macht des seinerseits genervten Regisseurs hier doch noch seine Wirkung, und sei er noch so alt und marode (Tabori selbst konnte Regisseure an sich nicht leiden, und wenn er selbst Regie führte, nannte er es nicht so). Wenn sie schon nicht machen, was er will, so machen sie sich wenigstens lächerlich.

Auch ihre exaltierte Kollegin Terese Tormentina, Anna Kubin, die nebenbei noch die gleichfalls gestrichene Putzfrau Mrs. Mopp übernehmen muss, beharrt auf ihren Rechten. Sie ist keineswegs bereit, sich für die Eva-und-Adam-Szene auszuziehen, zum Beispiel. Andererseits wirkt sie lasziv genug, wie die geheimnisvolle, hier redselige Dame aus einem Noir-Krimi, hier in Farbe. Ohne Selbstironie auf allen Seiten ist das nicht zu verkraften.

Geprobt wird nicht erst seit gestern ein ganz großes Ding, biblische Geschichten. Der Regisseur wird Mr. Jay gerufen, Jahwe ist also eventuell selbst zuständig. Die Schöpfung und das alles wäre dann nicht mehr – und nicht weniger! – als ein immer wieder missglückendes Theaterstück. Alles missglückt selbst in diesen 90 Minuten doppelt und dreifach. Beunruhigend der Umstand, dass es allenthalben zu Unfällen und Gewalt kommt. Abels Theatertod durch die Hand des Bruders, das Nachspielen der Opferung Isaaks oder schließlich der Kreuzestod Jesu entgleisen, Blut fließt, allerdings nicht in Frankfurt, wo Tavadze das Umkippen ins Schaurige meidet. Ohnehin passiert nie wirklich etwas.

Dabei kann einem Angst und Bange werden, wenn es Goldberg ist, der die Rolle des Gekreuzigten spielen muss, er, der einzige Jude auf der Bühne. Er behält die Nerven, legt sich gutwillig auf die immerhin vorhandene Querstange des Kreuzes. Und verdirbt seinem Chef durch seine lakonische Grundhaltung auch noch diese finale große Szene. Stattdessen gibt er ihm einen Kuss, erfindet also fix die Nächstenliebe. Da ist man verblüfft, obwohl man auch diese Story längst kennt. Das Theater erzählt sie irgendwie – anders.

Data Tavadze hält es unterm Strich mehr neblig als scharf. Es wird dann auch echt neblig. In der Verweigerung, den Ernst der Lage im mindesten anzuerkennen, ist er aber dicht bei der Sache. Der Text selbst wirkt ja, letzte Volte, frisch und spannend.

Schauspiel Frankfurt, Kammerspiele: 20., 24., 25., 29. Juni, 17. Juli. www.schauspielfrankfurt.de

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