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„Der Kirschgarten“ mit dem Theater Willy Praml – Bäume sehen uns an

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Von: Judith von Sternburg

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Tschechow mit dem Theater Willy Praml: Anna Staab als Gutsbesitzerin, hinten ihr verlorener Kirschgarten. Foto: Seweryn Zelazny
Tschechow mit dem Theater Willy Praml: Anna Staab als Gutsbesitzerin, hinten ihr verlorener Kirschgarten. Foto: Seweryn Zelazny © Seweryn Zelazny

Anton Tschechows „Der Kirschgarten“, kühl und zärtlich mit dem Theater Willy Praml in der Naxoshalle Frankfurt.

Kühl, lustig und ebenso haltlos wie zäh geht es in Anton Tschechows „Kirschgarten“ zu, wie ihn das Theater Willy Praml jetzt in zwei pausenlosen Stunden in der Frankfurter Naxoshalle präsentiert. Auch sie, die Halle selbst, nicht nur kühl, sondern kalt. Es liegen aber Decken bereit, und jeder muss sich eben warm anziehen für das Leben, das sich nicht immer gemütlich und übersichtlich darstellt. Und strukturiert.

Außerdem spielt die Halle, das ist jedes Mal so, eine Hauptrolle. Ihre bloße Existenz ist ein Beleg dafür, dass Orte wesentlich sein können, auch wenn sie ihre ursprüngliche Funktion längst nicht mehr erfüllen. Auch der Kirschgarten, nur noch durch seine Entfernung gewinnversprechend, will man hier nicht rasch abschreiben und den Wunsch nach seinem Verbleib ungern allein als bürgerlich dekadente Marotte abtun. Frankfurt ist ja eine Stadt, in der jedes Innehalten an sich schon ein origineller Akt ist.

Der dem Untergang geweihte Kirschgarten ist diesmal also eine kleine Menschengruppe, die meisten betagt. Sie sind zum Glück nicht als Bäume verkleidet, aber sie haben Zweige dabei, kahl und dürftig, jedoch lebendig.

Als der absolut im Leben stehende Kaufmann Lopachin, Jakob Gail, sie nachher in seinen Kleintransporter verladen hat, gönnt der Regisseur Michael Weber sich und uns ein kleines Wunder: Aus der Hand des uralten Dieners Firs, der von Willy Praml selbst gespielt wird und am Ende einfach zurückbleibt, keimt ein zartes neues Bäumchen. So sanft trotzt die Kunst einer flotten Neunutzung. So rührende Bilder kann man aufbieten, wenn man bis dahin herb genug war.

Tschechow muss dafür nicht direkt gebogen werden. Im Gegenteil kommt Webers luftiger Umgang mit der Szenenabfolge der Grundidee zupass, dass Dramaturgie in einem Drama möglichst wenig Raum erhalten sollte. Stattdessen: Menschen, Momente, Stillstand. Auf dem Boden der ebenfalls von Weber eingerichteten Halle große Mengen weiße Planen, dazu rote Riesenteddys (eine kleine Russlandparodie?) als Ruhekissen für die wahrlich müde Gesellschaft. Paula Kern hat das Ensemble in Winterpatchwork gepackt. Man muss hier nicht im engeren Sinne zur Rolle passen – dafür ist man schließlich Schauspieler oder Schauspielerin geworden.

Anna Staab ist die muntere lautstarke Gutsbesitzerin Ljubow Andrejewna, bei Tschechow der Gipfel an Oberflächlichkeit. Weber setzt da nicht noch einen drauf, wie ihn die möglichen gesellschaftspolitischen Zuspitzungen ohnehin nicht so sehr zu interessieren scheinen – auch das hält alles wagemutig in der Schwebe. Muawia Harb als ihr Bruder sowie Hannah Bröder und Birgit Heuser als Tochter und Pflegetochter fügen sich in kein melancholisches Tschechow-Klischee, sind bloß Menschen. Von den Satelliten, die sie umkreisen, unterscheiden sie sich nicht grundsätzlich: Florian Schongar als ewiger Student, Reinhold Behling als Pudelmützenkontorist, Kamel Najma als Lakai Jascha: Weber inszeniert vorab eine klassenlose Gesellschaft und lässt den „Kirschgarten“ damit deutlich näherrücken. Gails Lopachin ist nicht leicht zu widersprechen, weil er recht hat. Es gelingt Weber aber unschwer, uns auf die Seite derer zu ziehen, die lieber nichts unternehmen wollen.

Es geht zudem nicht um alles oder nichts, und die Inszenierung tut auch nicht so. Vielleicht ist da nicht zuletzt eine Unverbissenheit, die aus der Mode ist und guttut, ohne zu bagatellisieren. Das bedeutet aber auch: Jeder muss sich hier selbst zurechtfinden.

Der Kirschgarten singt gelegentlich. Tschaikowskis unwiderstehliche f-Moll-Romanze erklingt. Videoaufnahmen von Rebekka Waitz zeigen schon einmal, was bald vorbei sein wird.

Theater Willy Praml in der Naxoshalle, Frankfurt: 18., 19., 24.-26., 30./31. März, 14.-16., 21.-23., 28., 30. April. www.theaterwillypraml.de

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