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„Der gute Mensch von Sezuan“ in Mannheim: Ja, mach nur einen Plan

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Von: Judith von Sternburg

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Shen Te (r.) ist verliebt, und zwar in diesen Mann. Foto: Christian Kleiner
Shen Te (r.) ist verliebt, und zwar in diesen Mann. Foto: Christian Kleiner © Christian Kleiner

Kapitalismuskritik und Kapitalismus: Das Nationaltheater Mannheim eröffnet mit Brecht eine schöne neue Bühne in einem ehemaligen Kino

Das Nationaltheater Mannheim ist im Prinzip darum zu beneiden, dass die Sanierungsproblematik des sehr großen Theatergebäudes (1957 eröffnet) nicht ausgesessen und halbherzig immer mal wieder andiskutiert, sondern über Jahre generalstabsmäßig vorbereitet und gestartet wurde. Das ist wirklich zu beneiden, im Prinzip.

Es gibt mehrere propere Ausweichspielstätten. Deren Herzstück für die großen Opernproduktionen (im Stagione-Betrieb), ein „Opal“ (Oper am Luisenpark) genannter Leichtbau, war allerdings nicht wie geplant im September 2022 fertig. Stattdessen meldete im Dezember das zuständige Unternehmen Insolvenz an, der Termin für eine Fertigstellung ist derzeit völlig ungewiss. Die Sanierung, für die 300 Millionen Euro vorgesehen sind – was aber schon alleine angesichts des Opal-Problems kaum noch aufrechtzuerhalten ist –, soll 2027/28 abgeschlossen sein.

Ebenfalls verspätet, aber nun mit Freisekt und rotem Teppich eröffnet: das für Schauspiel und Tanz eingeplante Alte Kino Franklin, ein Glücksfall auf einem verlassenen US-Armee-Areal. Man ist ganz weit draußen, konnte aber nachhaltig nutzen, was schon da war. Der neuen Mannheimer Gegend – das Navi weiß noch nicht so recht – soll der 500-Zuschauerplätze-Saal mit Bar, schwarz-bunten Wänden und einem lässigen, niedrigschwelligen Off-Bühnen-Ambiente auch künftig Auftrieb geben, so dass sich der Aus- und Umbau hoffentlich doppelt gelohnt haben wird. Vorerst, siehe Opal-Problem, braucht das Nationaltheater den Ort selbst. Natürlich kann man hier auch übersichtliches Musiktheater machen.

Passend startet das neue Theater mit einem Stück von Ja-mach-nur-einen-Plan-Brecht, wenn auch nicht mit der „Dreigroschenoper“ so doch mit „Der gute Mensch von Sezuan“ – über die Schwierigkeit, unter kapitalistischen Bedingungen anständig zu bleiben und die Übersicht zu bewahren. Es ist nicht nur schwierig, es ist nachgerade unmöglich. Shen Te muss ihr zweites Ich, eine beinharte Type namens Shui Ta, hervorrufen, um mit der Mitleidslosigkeit zu handeln, die allein das eigene Überleben ermöglicht.

Regisseurin Charlotte Sprenger erklärt auf dem Programmbogen dazu: „Wir leben trotz aller Krisen, die auf kapitalistische Zusammenhänge und wirtschaftliche Interessen zurückzuführen sind, noch immer in der Lüge, dass der Kapitalismus das einzige funktionierende System sei“, und man kann ihr gar nicht schnell genug recht geben. Verblüffend dann nur, wie wenig Erhellendes der Abend selbst zum Thema beitragen kann.

Stattdessen passiert ihm das, was für ein kapitalistisches System eigentlich doch das Allerangenehmste ist: Zu sehen und zu hören ist eine muntere, revuehafte und unverbindliche Show für ein beschwingtes Ensemble, das sich aber letztlich nicht anmerken lässt, worum es hier geht. Alle Welt in Sezuan, ausgestattet von Aleksandra Pavlovic (Bühne) und Bettina Werner (Kostüme), hat sich im Billigladen eingekleidet – das aber reichlich – und gleich ein bisschen nutzlosen Einrichtungs- und Dekokram (rotierende Riesenrosenblüten) mitgenommen. Die Bilder auf den zahlreichen Schirmen schreien uns ständig zu: Konsum, Konsum, Konsum. Das Spiel schreit uns ständig zu: Aufregung, Aufregung, Aufregung. Die Schauspielerinnen und Schauspieler schreien am allermeisten, als es zum großen Reality-TV-Hochzeitskrach kommt. Annemarie Brüntjen ist Shen Te und schafft es, im Ein-Euro-Laden-Glamour doch noch irgendwie rührend zu sein. Arash Nayebbandi ist der coole, energische Mann, der es nicht wert ist, Ragna Pitoll seine Denver-Clan-Mutter. Leonard Burkhardt tritt als Wasserverkäufer Wang im Haifischkostüm auf (klar, Brecht, lustig), nachher die blaue Plüschflosse ganz geknickt.

Die Götter bleiben am Rande, zumal sie sich aus den Menschen des Stückes rekrutieren beziehungsweise umgekehrt das Personal des Stückes aus den eigenen Reihen greifen. Man erkennt sie an ihren pinkfarbenen Prinzesschentraumkleidern. Aber es gibt keinen Grund, sie zu vermissen. Ruhe und Aufmerksamkeit gibt es für die Musik, Paul Dessaus Songs wurden von Jonas Landerschier und Philipp Plessmann bearbeitet. Delikate Momente aus einem anderen Film. Im randvollen Saal: Feierstimmung.

Altes Kino Franklin, Mannheim: 17., 19., 24. Februar. www.nationaltheater-mannheim.de

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